Sokops Rache
wenn es schon in den Konkurrenzblättern steht. Natürlich, ich weiß auch, dass uns die Zeit für fundierte Recherchen fehlt. Aber es gibt doch so offensichtliche, quasi allgemein bekannte Missstände, da braucht es doch nicht viel Recherche oder Hintergrundwissen. Nimm zum Beispiel das Thema …«, sie tut, als überlege sie, »die Korruption im Bauhandwerk. Da weiß doch schon der einfache Mann auf der Straße, wie der Hase läuft. Das konzentriert sich auf ein, zwei große Unternehmen in der Region. Ein wenig Stöbern in den Archiven, ein, zwei Interviews mit Angestellten, vielleicht sogar Behördenmitarbeitern, denen man Anonymität garantiert, und zack – hat man eine Story.« Sie stochert noch ein wenig im Eis herum, schaut Volker mit, wie sie hofft, ehrfürchtigem Blick an.
»Nun, Sonja, ganz so einfach ist das ja nun doch nicht. Hast du das nicht beim JOURNAL gelernt? Du musst schon fundierte Kenntnisse über tatsächliche Vorkommnisse haben, um dich an eine solche Geschichte zu wagen. Korruptionsvorwürfe allein bringen dich eher wegen Verleumdung vor Gericht, als dass sie deine journalistische Karriere befördern.« Die Kellnerin serviert das Schnitzel samt einem kleinen Salat und Brotkorb und er ergreift das Besteck, säbelt am panierten Fleisch herum. »Wenn ich über all das schreiben würde, was ich weiß, wäre ich Schriftsteller geworden, nicht Journalist. Man muss schon unterscheiden und abwägen, wem man nützt, wem man schadet und wo man besser den Griffel stillhält.« Kauend legt er den Kopf schräg, mustert sie forschend. »Du hast doch etwas Bestimmtes im Sinn, oder täusche ich mich?« Er schneidet ein Stück Schnitzel ab, tunkt es in die rotbraune Sauce und hält es ihr dann vor die Nase. Sie schüttelt den Kopf, angewidert von der Vorstellung, diese Gabel im Mund zu haben, die eben noch seine Zunge berührt hat.
»Ich habe da etwas läuten hören. Es gibt einen Bauunternehmer in Wismar, der in den ersten Nachwendejahren mit Sanierungsvorhaben richtig groß wurde. Und nun, die historische Altstadt ist weitestgehend restauriert, neue Bauvorhaben sind an einer Hand abzuzählen, hält der seinen großen Mitarbeiterstamm, von seinem noblen Lebensstil ganz zu schweigen. Da kann doch etwas nicht stimmen.«
»Ach, den Oldenburg willst du aufs Korn nehmen? Na, dein Riecher ist richtig, aber davon rate ich trotzdem ab. Du stichst da in ein Wespennest. Über Oldenburg wird schon lange im Zusammenhang mit illegaler Auftragsvergabepraxis gemunkelt.« Er beugt sich über den Tisch und Sonja riecht den fettigen Fleischgeruch, der seinem Mund entströmt.
»Ich verrate dir was.« Er sieht sich theatralisch um, die beiden anderen Tische auf dem Balkon sind mit harmlosen Touristenpaaren mittleren Alters besetzt. Trotzdem raunt er nun. »Das muss aber unter uns bleiben. Sein Unternehmen überlebt nur, weil Oldenburg einen guten Draht zu den entscheidenden Behördenmitarbeitern pflegt.« Er grinst, spießt drei Pommes frites auf die Gabel und schiebt sie sich in den Mund. »Kennst du den Puff an der B 104?« Er deutet vage mit der Gabel in Richtung Westen.
Sonja verneint.
»Dorthin lädt Oldenburg die Herren aus den Schweriner und Wismarer Bauämtern in regelmäßigen Abständen ein.«
Aufgeregt tastet sie in ihrer Jackentasche nach dem Diktafon, hofft, dass es noch immer läuft, die Batterien durchhalten. Ihr Kollege beugt den blonden Lockenkopf, der sie immer an diesen Vorzeigequizmaster erinnert, über seinen Teller und hält ihr dann eine Gabel voller Pommes vor die Nase. Sonja kann sich vorstellen, wieso ihr Kollege von den Bordellbesuchen weiß und schüttelt sich bei dieser Vorstellung. Er bezieht dies auf das Essen und zuckt mit den Schultern. »Die sind wirklich gut, solltest du mal probieren.« Sie rührt höflichkeitshalber ein wenig in ihrem geschmolzenen Eis und legt einen Aufmerksame-Schülerin-Blick auf. »Lässt sich das beweisen?«
»Sonja, Sonja.« Er legt das Besteck auf den Tellerrand, wischt sich mit der Serviette über die fettglänzenden Lippen. »Keiner der Beteiligten, weder der spendable Herr O. noch die Herren Bauamtsleiter oder der – nennen wir ihn mal – Beherbergungsbetrieb hat ein gesteigertes Interesse an einer Veröffentlichung, respektive öffentlichem Anteil an ihren kleinen geschäftlichen Transaktionen. Die halten alle dicht, von denen bekommst du keine Informationen, sondern höchstens ein paar Russen auf den Hals gehetzt, wenn du Staub aufwirbelst.«
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