Sokops Rache
sein Vordermann unnötig früh gebremst.
Autoritätshöriger Mistkerl!
Endlich hat er den Hafen erreicht, fährt direkt zum Liegeplatz der Niobe am Brunkowkai. Während er zwischen den abgestellten Wagen auf dem Sandplatz einparkt, fahndet er mit einem Auge nach der Yacht. Sie ist nicht an ihrem Platz. Er steigt aus, rennt zum Anlegesteg, sucht das Wasser ab. Da, dort hinten, das könnte sie sein. Ein großer weißer Segler hat das Ende des Hafenbeckens fast erreicht. Er blickt sich um, entdeckt ein älteres Paar auf der Kaimauer, hetzt zu ihnen, deutet atemlos auf den Feldstecher, der dem Mann vor der Brust baumelt. »Darf ich mir den für einen Moment ausleihen? Es ist ein Notfall.«
Die beiden sehen ihn mit großen Augen an, der Mann reicht ihm das Fernglas, zögernd, doch augenscheinlich um Hilfsbereitschaft bemüht.
»Keine Sorge, ich laufe nicht weg.« Henry hebt das Glas an die Augen. Gerade wird dort hinten die Fock gesetzt. Er fühlt sein Herz gegen die Rippen schlagen, Schweiß steht ihm auf der Stirn. Drei Personen erkennt er an Deck. Sie sind es. Nicoles Haar leuchtet hell, ihr Vater steht am Ruder. Die dritte Person trägt eine Mütze, doch die Größe stimmt. Er muss diese Irre aufhalten.
Anrufen!
Er tastet die Jackentaschen ab. Wo ist das Telefon? Hastig drückt er dem Mann den Feldstecher in die Hand, murmelt einen Dank und rennt zum Auto. Mit zitternden Fingern durchsucht er den Innenraum, blickt hektisch auf den Boden unter den Sitzen. Nichts. Voller Verzweiflung läuft er zurück ans Hafenbecken. Er muss da raus.
Zwei Stege weiter steht ein Mann mit rotem Vollbart in einem kleinen offenen Boot und reißt am Anlasser des Außenborders. Henry denkt nicht nach, folgt einfach seinen Impulsen. Keine Zeit, zu diskutieren. Schon ist er bei dem Rotbart auf dem Steg, löst die Leine, mit der das Boot festgemacht ist und wirft sie ihm zu.
»Oh, danke«, ruft der und schaut perplex zu ihm herauf. Mit einem Satz ist Henry bei ihm im Boot, das unter dem neuen Gewicht bedenklich schaukelt. Sein Gegenüber fuchtelt mit den Armen, versucht, das Gleichgewicht zu halten und kreischt vor Überraschung auf. »So war das aber nicht gemeint. Raus aus meinem Boot.«
Henry packt ihn an den Schultern und stößt ihn ohne ein Wort über Bord. Der andere schreit, das Wasser spritzt hoch auf. Henry gibt Vollgas und das Boot schießt mit laut aufjaulendem Motor ins Hafenbecken hinaus.
* * *
»Tschüß, Frau Sänger.«
»Schönen Feierabend, Herr Weller. «
Er schultert seinen Rucksack, läuft die Treppen hinunter, schließt sein Rennrad vom Zaun und fährt zum Alten Hafen. Heute morgen hat er seiner Frau versprochen, Räucherfisch mitzubringen. Ihre Schwester kommt zu Besuch und Ellen will ihre legendären Bratkartoffeln zubereiten.
Die Schlange an seinem Lieblingskutter ist nicht lang; nach wenigen Minuten hat er seinen Einkauf im Rucksack verstaut und beschließt, bevor er nach Hause fährt, am Kai eine Runde um das Baumhaus zu drehen. Der Himmel hängt tief, aber nach dem Schauer am Vormittag ist es trocken geblieben. Er hat einen harten Tag hinter sich, braucht noch ein wenig gedanklichen Auslauf, bevor er wieder der Privatmensch Weller ist.
Da war der Termin mit Henry, der ihn unzufrieden hinterlassen, ihm seine eigene Hilflosigkeit bewusst gemacht hat. Danach musste er mit größter Mühe einen anderen seiner Jungs davon abhalten, den Sachbearbeiter der Arbeitsagentur mit Fäusten zu überzeugen, dass er in seiner Beschäftigungsmaßnahme nur deshalb so viele Fehlzeiten hat, weil das Kind seiner Freundin häufig krank ist und sie ihren Job einfach nicht verlieren darf. Dann zurück ins Büro, Aktenarbeit: Berichte ans Gericht, Telefonate, anschließend Vorbereitung der nächsten Gruppenstunde seines Anti-Gewalt-Trainings. Am Nachmittag drei Gesprächstermine: Ein Ersttäter – gemeinschaftlicher Tankstellenüberfall mittels einer Gaspistole. Zwei Intensivtäter – einer davon bereut immerhin halbherzig, seine Freundin, die ihn bis aufs Blut gereizt hat, verprügelt zu haben. Der andere – Wiederholungstäter mit einer im Lebensbild verfestigten Delinquenz, wie das Amtsdeutsch es ausdrückt, sprich: unbelehrbar – war nicht erschienen, also hat Weller eine Stunde früher als geplant die Akten für seine morgige Außensprechstunde in Warin zurechtgelegt und noch kurz mit der Kollegin aus dem Schwerpunkt Sexualstraftäter einen Fall besprochen. Ein ganz normaler Arbeitstag also. Die
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