Sokops Rache
Kaffeekochen kannst du.« Er zwinkert ihr zu. »Nun lass mal sehen, ob du auch ein Boot führen kannst.« Er tritt ein wenig beiseite, überlässt Sonja das schmale Aluminiumsteuerrad. Sie fühlt sich beschwingt, tut so, als lausche sie interessiert seinen Erklärungen zum Halten des Kurses und horcht mit einem Ohr hinunter in die Kabine. Doch von dort kommt kein Ton.
* * *
Es ist zum Aus-der-Haut-fahren. Henry wischt mit dem Jackenärmel Gischttropfen von den Brillengläsern. Seit er die Niobe auf Höhe des Wendorfer Yachthafens ausfindig gemacht hat, hat sich der Abstand zwischen ihnen nicht um einen Deut verkürzt. Die Yacht hat Fahrt aufgenommen, entfernt sich unter vollen Segeln immer schneller. Er kommt einfach nicht so nah, dass er Nicole und ihren Vater mit Rufen auf sich aufmerksam machen könnte. Seine Hand umkrampft den Gasgriff, hält ihn bis zum Anschlag aufgedreht. Der kleine Motor jault hell, gibt sein Bestes, aber es reicht nicht. Der Abstand wächst. Verbissen hält Henry Kurs, hofft, dass ihm der Sprit nicht ausgeht. Die kleine Nussschale tanzt über die Wellenkämme; er wird durchgeschüttelt, hopst auf der schmalen Bank auf und nieder. Feuchter Wind peitscht ihm ins Gesicht. Ihm ist wie in einem Alptraum, in dem sich die Zeit dehnt und er ein Ziel erreichen muss, das sich immer weiter von ihm entfernt. Linkerhand kommt die Marina von Hohen Wieschendorf in Sicht, die hellen Masten der vertäuten Segler. Der Fahrtwind zerrt an seiner Jacke, drückt ihm die Brille fest ans Gesicht. Er schaut suchend auf den Boden des Bootes, doch dort ist nichts als der nackte Rumpf. Wie kann er Nicole auf sich aufmerksam machen?
Da, jetzt machen sie dort vorne ein Manöver. Die Yacht legt sich in den Wind, bremst. Sie wenden! Henry beißt die Zähne zusammen. Jetzt kann es sich nur noch um Minuten handeln, bis er sie erreicht hat. Und dann? Was soll er eigentlich sagen? Macht er sich nicht völlig lächerlich? War er bis eben noch völlig sicher, dass die Oldenburgs in Lebensgefahr schweben, so kommen ihm seine Befürchtungen nun übertrieben und unrealistisch vor. Doch jetzt kann er nicht mehr zurück.
* * *
»Bl... bleib am Ruder. M... mir is nich gut.« Oldenburg schwankt, obwohl die Niobe schnurgerade auf dem Wasser liegt, wendet sich nach links, stützt sich auf die Reling. Sonjas Herz tut einen Sprung. Es ist so weit. Unter Deck ist noch immer alles still. Um die blonde Kuh wird sie sich später kümmern. Mit einem schrillen Schrei nimmt sie Anlauf und wird zu einem menschlichen Rammbock.
* * *
Ihm gefriert das Blut, als dort vorn, hundert Meter entfernt, ein Körper über Bord geht. Oldenburg! Welch ein elendes Déjà vu! Nein, viel schlimmer. Dies ist Realität. Verzweifelt umkrampft er den Gasgriff. Komm schon, komm schon! Die Niobe wird größer. Er drosselt den Motor. Seltsam, Oldenburg rührt sich überhaupt nicht. Treibt nur mit vom Wasser aufgeblähter Kleidung auf den Wellen. Ist er etwa …? An Bord der Yacht verschwindet Sonjas Gestalt wie ein unheilvoller böser Zwerg unter Deck. Scheinbar hat sie ihn, das kleine Boot nicht bemerkt. Wo ist Nicole? Die Yacht gleitet, einen Steinwurf entfernt, lautlos an ihm vorbei. Ein Gespensterschiff, niemand steht am Steuer. Er erreicht den mit dem Gesicht nach unten auf dem Wasser Treibenden. Mit einer Hand reißt er an dessen Kragen, versucht ihn herumzudrehen, ohne mit dem Boot zu kentern und achtet gleichzeitig darauf, ob der andere irgendwo verletzt ist. Kein Blut zu sehen. Erleichterung schießt wie eine Droge durch seinen Körper, als Oldenburg mit geschlossenen Augen erst schnauft, dann hustet. Wasser läuft ihm aus Nase und Mund. Henrys Arm beginnt zu schmerzen. Vorsichtig das Gleichgewicht haltend, packt er auch mit der anderen Hand zu, zieht den Bewusstlosen zu sich heran. Das Boot neigt sich gefährlich zur Seite. Seine Hände wechseln den Griff. Nun hat er Oldenburg unter den Achseln gepackt, schnappt nach Luft und hievt ihn höher, versucht gleichzeitig, sein eigenes Gewicht zu verlagern, um das Boot am Kentern zu hindern. Wenn er ihn nur mit dem Oberkörper ins Boot bekäme! Es ist ein zähes Ringen um jeden Millimeter, seine Sehnen schmerzen, er atmet pfeifend, doch dann hat er den tropfnassen Mann so weit herausgezogen, dass dessen Körper über der Bordwand hängen bleibt. Mit dem Gesicht auf dem Bootsboden, einen Arm unter dem Brustkorb eingeklemmt, die Beine im Wasser, liegt er wie ein nasser Sack da. Henry
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