Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
Vom Netzwerk:
der Schülerinnen forderten statt ihren Intellekt: das kleine Einmaleins, Lesen, Schreiben und das Auswendiglernen von Texten.
    Doch schon nach kürzester Zeit war er zur Überzeugung gelangt, dass seine so klug erdachten Pläne bei dem dummen, undisziplinierten Haufen für die Katz waren. Ein Arbeitslager wäre für die faulen Schlampen seiner Ansicht nach wesentlich geeigneter gewesen als das große Einmaleins oder Goethes Gedichte.
    Karlheinz Krotzmann holte ein letztes Mal tief Luft, dann riss er die Tür des sogenannten »Klassenzimmers« auf – lediglich ein weiterer schlecht belüfteter, düsterer Raum.
    »Guten Morgen, Herr Krotzmann!«, ertönten fast dreißig junge Mädchenstimmen.
    Wenigstens die Begrüßung funktionierte. Aber wie sie auf ihren Stühlen lungerten! Schon an ihrer Körperhaltung konnte man das Ausmaß ihres schlechten Charakters erkennen, dafür bedurfte es nicht einmal eines Blickes in ihre boshaften Augen.
    Er sah die zwei Neuzugänge sofort. Eine rothaarige Schlampe, ängstlich dreinschauend. Entweder gehörte sie zu denen, die hier nichts zu lachen hatten. Oder sie hatte es besonders faustdick hinter den Ohren. Daneben saß noch eine junge Frau –
    Krotzmann stutzte. Was hatte so eine hier verloren? Sie war groß und schlank, hatte einen ebenmäßigen Teint und gepflegte lockige Haare. Im Gegensatz zu den anderen Weibsbildern mit ihren gekrümmten Schultern saß diese junge Frau aufrecht und mit einer natürlichen Eleganz da. Krotzmann spürte, wie sich innerlich Stacheln in ihm aufstellten. Aus der Gosse stammte so jemand nicht. War es schon so weit gekommen, dass nun auch Mädchen aus besserem Hause nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden konnten? Was hatte sie wohl verbrochen? Einen gutmütigen Trottel übers Ohr gehauen? Ein armes Mütterlein bestohlen? Oder jemanden erschlagen? Die Tatsache, dass die Neue so gut aussah wie die Schauspielerinnen auf den Plakaten des Berliner Schauspielhauses, nährte seine Feindseligkeit ihr gegenüber nur noch.
    Ungeduldig klopfte er mit seinem Holzstock auf das Pult. Mit zusammengekniffenen Augen schaute er über die Zöglinge hinweg.
    »Wenn ich euch herumlungern sehe, wird mir schlecht! Wie oft muss ich euch die gewünschte Haltung noch erklären? Die Füße müssen mit ihrer ganzen Sohle auf dem Boden stehen! Die Oberschenkel müssen ihrer Länge nach auf der Bankfläche aufliegen! Ihr hingegen lungert auf der Kante der Bank herum, pfui Teufel!« Er nahm seinen Stock, schlug damit einer Schülerin in der ersten Reihe auf den Rücken. Ein klatschendes Geräusch entstand.
    »Und du, halte den Kopf gerade! Das Kinn darf die Brust nicht berühren.« Ein weiterer Schlag, diesmal auf den Rücken der Nachbarin. Keins der Mädchen zuckte auch nur mit der Wimper. Einstecken konnten sie, das musste man ihnen lassen. Aber warum kassierten sie lieber Hiebe, statt seinen Anweisungen zu folgen?, fragte er sich, während er auf die hinteren Reihen zuging.
    »Und jetzt alle: die Füße parallel nebeneinander und flach auf den Boden! Die Oberschenkel ihrer Länge nach auf der Bank. Eure Oberkörper dürfen nur wenig nach vorn geneigt sein, und wehe, ihr lehnt auch an die Tischkante! Und dann eure Schultern! Wie oft muss ich euch noch sagen, dass sie sich in gleichlaufender Richtung mit der Tischkante befinden müssen? Die rechte Schulter darf weder höher noch niedriger stehen als die linke.« Grimmig beobachtete er, wie sich die jungen Frauen plagten, die von ihm gewünschte Haltung einzunehmen. Der schlanke Neuzugang schien besondere Mühe zu haben. Bei näherer Betrachtung sah Krotzmann, dass sie ein ziemlich breites Kreuz hatte. Dieser Ausdruck körperlicher Stärke ärgerte ihn, er hätte nicht sagen können, warum. Sogleich war er bei ihr.
    »Du!« Er schlug mit seinem Stock vor ihr auf den Tisch. »Dein Name!«
    »Josefine Schmied«, kam es leise, aber bestimmt.
    Josefine. Er hatte es gewusst. Dieses Gewächs war keine Martha oder Karla, so wie alle anderen. Was tat sie hier? Zornig funkelte er sie an.
    »Die Haltung deiner Arme ist einfach jämmerlich! Das hier ist ein Klassenzimmer und keine Bahnhofshalle oder wo ihr sonst herumlungert!« Schon landete sein Stock auf ihrer Hand. Sein rechtes Auge zwinkerte nervös, als er das Blut sah, das aus den Knöcheln ihrer Finger quoll. Hellrotes Blut. Er zog den Stock zurück und fühlte sich auf angenehme Art erleichtert. Ein paar Lacher ertönten, er erkannte Adeles raue Stimme wie immer aus allen

Weitere Kostenlose Bücher