Solang die Welt noch schläft (German Edition)
die Theke, dann nahm sie der Frau die Brottüte ab. Schon an der Tür, drehte sie sich nochmals um. »Es war übrigens kein Dummer-Jungen-Streich.«
Die Bäckersfrau runzelte die Stirn. »Nicht?«
»Wenn schon, dann war es ein Dummer-Mädchen-Streich!« Mit einem fröhlichen Gruß ging sie weiter zum Metzger Ammann, der sein Geschäft im übernächsten Haus betrieb.
»Josefine, bist du’s wirklich?« Auf dem Gesicht der Metzgersfrau spiegelte sich Erstaunen und Freude zugleich. »Wie schön, dich endlich wiederzusehen.«
Josefine lächelte glücklich und gab ihre Bestellung auf.
»Eine Werkstatt willst du eröffnen?«, sagte die alte Frau Ammann, nachdem Josefine ihre Neuigkeiten losgeworden war. »Dinge reparieren – kannst du das denn?«
»Ich denke schon. Hätten Sie vielleicht etwas für mich?«, fragte Jo aufgeregt. Dass ihr so viel Sympathie entgegenschlagen würde, hätte sie nie gedacht.
Ohne ein Wort verschwand die alte Frau durch die Tür, die vom Verkaufsraum in die Metzgerei führte. Als sie zurückkam, hatte sie ein großes, schweres Gerät in den Händen.
»Unser Fleischwolf, irgendetwas ist nicht mehr, wie es sein soll, jedenfalls lässt er sich nicht mehr am Tisch festschrauben. Wenn du das richten kannst …«
»Aber gern!«, sagte Josefine hocherfreut und nahm das schwere Stück über die Theke entgegen.
Mit den Einkäufen und ihrem ersten Auftrag unterm Arm lief sie nach Hause. Sollte sie gleich bei ihren Eltern vorbeischauen oder doch erst später?, rätselte sie, während in den Hausreihen links und rechts der Straße ein Fensterladen nach dem anderen aufgestoßen wurde. Neugierige, verschlafene oder auch schon hellwache Köpfe wurden herausgestreckt.
Josefine grüßte jeden freundlich, und fast jeder hatte ein paar freundliche Worte für sie übrig. Hie und da gab es einen neidvollen Blick wegen ihres Erbes, aber bei den meisten hieß es, Friedas Haus sei bei ihr in den richtigen Händen.
»Wir hatten schon Angst, es käme ein reicher Fremder daher, der das Häuschen abreißt, um eine Fabrik auf dem Platz zu errichten«, sagte Schuster Kleinmann.
Was ihre Gefängnisstrafe anging, war die allgemeine Meinung, dass Moritz Herrenhus damals einfach besser auf sein geliebtes Velo hätte aufpassen müssen.
»Gelegenheit macht Diebe – heißt es nicht so?«, sagte die Witwe vom Eisenwaren-Otto. »Herrenhus und dein Vater hätten das auch unter Nachbarn regeln können, dafür hätte es weiß Gott keine Polizei gebraucht!« Ihre Aussage wurde von einem missfälligen Blick in Richtung Hufschmiede begleitet.
Und ihr Nachbar, der Schuster Kleinmann, fügte kopfschüttelnd, aber nicht unfreundlich hinzu: »Ein Veloziped zu fahren – ihr jungen Frauen von heute seid einfach verrückt!« Als er in seiner Werkstatt verschwunden war, winkte seine Frau Josefine näher zu sich heran.
»Velo fahren – wie fühlt sich das eigentlich an?«, wollte sie im Flüsterton wissen.
Josefine lächelte übers ganze Gesicht. »Einfach wunderbar!«
Als sie endlich wieder bei Friedas Haus ankam, hatte sich ihre Angst, die Bewohner der Luisenstadt könnten sie wegen ihrer Vergangenheit verachten, in Luft aufgelöst. Etliche hatten angekündigt, in den nächsten Tagen einmal mit kaputten Sachen vorbeizukommen – ein Kochtopf, von dem der Henkel abgegangen war, eine Buttermaschine, bei der sich das Rädchen nicht mehr drehte, ein Bügeleisen, dessen Lade nicht mehr schloss.
Der Streuselkuchen und die Schrippen dufteten herrlich. Die geräucherte Wurst auch. Josefines Magen knurrte. Ein deftiges Frühstück war genau das, was sie vor ihrem arbeitsreichen Tag benötigte. Nun, da die ersten Aufträge lockten, musste sie sich umso mehr mit der Werkstatt beeilen. Und was ihre Eltern anging … Sollten sie doch von den anderen erfahren, dass sie wieder in der Luisenstadt war – das geschah ihnen ganz recht!
Jo rumorte von früh bis spät in der Werkstatt. Die Werkbank stand für sie am falschen Platz. Jo wollte sie direkt unter dem Fenster haben, wo sie das Licht für Feinarbeiten nutzen konnte. Sie brauchte einen halben Tag, bis sie das schwere Teil mittels allerlei angesetzter Hebel verrückt hatte. Die Werkzeuge mussten sortiert und gereinigt werden, ein Teil davon war zu alt, als dass er ihr noch von Nutzen gewesen wäre. Am Ende des ersten Tages schaute sich Jo um und hatte das Gefühl, nichts, aber auch gar nichts erreicht zu haben. Am zweiten Tag stand sie noch früher auf, verzichtete auf frisches
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