Solang die Welt noch schläft (German Edition)
Katze von ihrem Schoß und stand auf.
Die Blumenvase hinterließ einen staubfreien Kreis auf dem Kaminsims, als Jo sie herunternahm. Einen Moment noch zögerte sie, dann fasste sie beherzt ins dunkle Innere der Vase. Im nächsten Moment zog sie ein Bündel zusammengerollte Geldscheine hervor. Und noch eins. Und noch eins. Hunderte von Mark. Wie betäubt starrte Josefine auf das viele Geld. Hektisch raste ihr Blick in Richtung Tür, dann zu den Fenstern. Was, wenn jemand sie beobachtete und ihr das Geld raubte? Eilig stopfte sie es wieder in die Vase und stellte diese genau dahin auf den Sims zurück, wo sie gestanden hatte.
Dann schlich sie zurück zum Sofa und setzte sich neben die Katze, die sich zu einer kleinen Kugel eingerollt hatte. Eine Zeitlang saß sie wie gelähmt da. Schließlich stand sie auf.
Als wäre sie eine Marionette, die an straffen Fäden geführt wurde, ging sie zu der schweren Holztür, die das Wohnhaus von der angebauten Werkstatt trennte. Die Klinke schon in der Hand, hielt sie inne. In all den Jahren war sie nie in der Werkstatt gewesen. Warum eigentlich nicht? Weil sie Robert, Friedas Ehemann, nicht sonderlich gemocht hatte?
Josefine musste mehrere Schlüssel des Schlüsselrings, den sie von Clara bekommen hatte, ausprobieren, bis sie den für die Werkstatttür gefunden hatte. Diese ging mit einem lauten Knarzen auf.
Hier war es stockdunkel und kalt, viel kälter als im Haus. Blind tastete sich Josefine zu einem der Fenster vor, öffnete es, dann drückte sie die Läden auf. Ein Streifen hellgelbes Sonnenlicht fiel in den Raum und tauchte die alten Werkzeuge, die fein säuberlich in Reih und Glied an der Wand hingen, in einen goldenen Glanz. Wie verzaubert schaute sich Josefine um.
Hämmer, Schraubenschlüssel, Zangen, Feilen, ein paar Scheren. Kästchen mit Nägeln, mit Drahtrollen und Kästchen mit Schleifpapier und verschieden großen Schleifklötzen. Mehrere Zollstöcke. Ein Seitenschneider. Eine Stichsäge und eine Feinsäge. Ein riesiger Meißel. Kästchen mit eisernen Klemmen und anderem Krimskrams. Eine weitere Kiste mit Lumpen, Verbandszeug und einem Flaschenöffner.
In der linken hinteren Ecke befand sich sogar eine schwarz verrußte Esse, an der man Metall für kleine Schweißarbeiten erhitzen konnte.
Josefine spürte, wie ihre Knie weich wurden. Dann begannen sie zu zittern. Im nächsten Moment schlotterten sie so, dass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Ohne Rücksicht auf ihren sauberen Rock ließ sie sich auf den schmutzigen Boden plumpsen.
Sie war im Paradies gelandet. Es war ein verstaubtes, altmodisches Paradies. Aber das machte nichts. Wie hatte Frieda geschrieben? Das Haus, der Garten und die Werkstatt warten darauf, von dir zu neuem Leben erweckt zu werden.
Josefine holte tief Luft. Ihre Lunge wurde weit, ihr Herz begann zu jubilieren wie noch nie zuvor.
Bisher waren ihre Pläne immer vage gewesen. Sie wusste zwar, was sie tun wollte, aber nicht, wie sie es anstellen sollte. Doch hier, auf dem kalten wachsgelben Linoleum, gab es plötzlich kein Wenn und Aber mehr.
Jo sah ihre Zukunft nun glasklar vor sich.
22. Kapitel
Die Arbeit in der Schuhsohlenfabrik war am nächsten Tag schnell gekündigt, der restliche Lohn ausbezahlt. Ohne eine Regung des Bedauerns ließ die Kontoristin, die Josefine erst wenige Wochen zuvor eingestellt hatte, sie ziehen. Ein ständiges Kommen und Gehen war bei den Arbeiterinnen schließlich an der Tagesordnung. Auch der Abschied von den Zimmergenossinnen war kurz. Josefine schenkte ihrer Bettnachbarin einen Schal, eine alte Strickjacke und auch noch den halben Brotlaib, der vom Vortag übrig war. Niemand erwartete Erklärungen über Josefines Zukunftspläne, und so sagte sie einfach Lebewohl und ging davon.
Spät am Abend zog Josefine in ihr Haus ein.
Brennholz war genügend da, und trocken war es auch. Bald rauchte ein Feuer im Kamin, und Josefine konnte Wasser erwärmen. In der Vorratskammer fand sie verschiedene Putzmittel, Lumpen, Besen und Schwämme. Nur eine Stunde später waren alle Oberflächen feucht abgewischt, der Boden gründlich geputzt, die Bretter des Speiseschranks krümelfrei. Claras Fliederstrauß warf sie auf den Komposthaufen im Garten, danach roch das Haus nur noch nach Sauberkeit und Wohlbefinden.
Dann kam das große Aufräumen an die Reihe. Frieda war eine eifrige Sammlerin gewesen: Stoffreste, Wolle, Steine, Berge von Zeitungen und Zeitschriften, kleine Gläser und große Blechdosen – in
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