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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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wollten.
    Wer noch immer fehlte, war Adrian Neumann. Komplikationen bei seiner Knieverletzung hatten seinen Aufenthalt in Amerika länger als erwartet ausgedehnt. Genaueres wusste niemand. Natürlich hoffte man auf eine baldige Heimkehr des Vereinskameraden.
    »Passt bloß auf, es handelt sich um wertvolle Fracht!«, rief Isabelle einem der Kofferträger zu, die die Aufgabe hatten, die Räder in den Zug zu verladen.
    Kameradschaftlich legte sie einen Arm um Josefine und Lilo.
    »Jetzt geht’s endlich los, ist das nicht fantastisch?«
    Lilo nickte. »Nun wird sich zeigen, ob unsere ganze Schinderei umsonst war oder nicht.«
    »Und du wärst um ein Haar nicht dabei gewesen«, sagte Josefine und versetzte Isabelle einen freundschaftlichen Schubs. »Was für ein Glück, dass Leon dich im Winter zum Weitermachen überreden konnte.«
    »Eigentlich war es Doktor Ekarius, dem wir Isas Teilnahme zu verdanken haben«, sagte Leon grinsend.
    Die anderen schauten irritiert drein – diesen Arzt kannten sie nicht.
    Lilo hielt einen ledernen Tornister in die Höhe. »Falls jemand auf der langen Fahrt Hunger bekommt … Ich habe uns in einem Feinkostladen ein paar leckere Happen zubereiten lassen.«
    »Hoffentlich handelt es sich dabei auch um gesunde Speisen – alles andere würde Susanne nämlich nicht gutheißen«, sagte Josefine ironisch.
    Lilo zuckte mit den Schultern. »Entenleberpastete, dazu ein Glas Sekt – könnt ihr euch eine bessere Sportlerernährung vorstellen?«
    Fröhliches Gelächter brach aus.
    Den Kinderwagen mit beiden Händen vor und zurück rollend, hörte Clara dem aufgeregten Geplänkel zu.
    Josefine, Isabelle und Lilo – das Kleeblatt. Wie gut sie sich verstanden.
    Früher, als sie noch dazugehört hatte, war es ein vierblättriges Kleeblatt gewesen. Ein Gefühl von Wut und Trauer beschlich sie nicht zum ersten Mal. Und von Verlust, das vor allem.
    Warum musste sich Gerhard ausgerechnet so aufs Frauenradfahren kaprizieren? Hätte er nicht eine andere Leidenschaft für sich finden können? Es gab so viel Übel in der Gesellschaft: die hohe Kindersterblichkeit in den Arbeitervierteln zum Beispiel. Oder die teilweise katastrophalen Zustände in den Berliner Krankenhäusern, wo überforderte Ärzte und viel zu wenig Personal der Lage kaum mehr Herr wurden. Warum engagierte sich Gerhard nicht im Kampf gegen solche tatsächlichen Missstände? Stattdessen diese ewige Hetzerei gegen die Radfahrerinnen! Clara konnte seinen Sermon nicht mehr hören. Außerdem hatte er ihr rigoros jeglichen Umgang mit Josefine und Isabelle verboten. »Unternehmerhure und Werkstattschlampe« – so nannte er die beiden. Wenn er gewusst hätte, dass sie zur Verabschiedung der Radlerinnen an den Bahnhof ging, wäre der Teufel los gewesen!
    Umso glücklicher war die Fügung, die Gerhard am frühen Morgen sagen ließ: »Du brauchst heute Mittag nicht mit dem Essen auf mich zu warten, ich bin mit einem Kollegen im Reichsadler verabredet.« Kaum war ihr Mann aus dem Haus, hatte sie den Kinderwagen geschnappt und war mit Matthias losgezogen.
    Eine Blaskapelle begann einen Marsch zu spielen. Auf dem offenen Bahnsteig schallte die Musik unangenehm laut in Claras Ohren. Angespannt sah sie in den Kinderwagen, hoffentlich würde der Lärm ihren Jungen nicht wecken. Doch Matthias schlief friedlich weiter.
    Matthias. Ihr Liebling. Er war alles, was zählte. Er brauchte sie. Und Gerhard brauchte sie auch. Wie hatte sie das auch nur für einen Moment vergessen können?
    Clara atmete einmal tief durch, dann trat sie mit leichterem Herzen zu den versammelten Frauen.
    »Hier, für euch! Wundsalbe und ein bisschen Verbandmaterial, falls doch mal jemand stürzt. Dazu Hustensaft und Pfefferminzbonbons.« Lächelnd hielt sie Josefine das Bündel hin, das sie zuvor in der elterlichen Apotheke geschnürt hatte.
    »Ich befürchte, wir können alles gut gebrauchen, danke!« Josefine reichte das Paket an Lilo weiter, dann umarmte sie Clara heftig. »Drück uns die Daumen, ja?«
    »Und ob! Schließlich müsst ihr allen zeigen, was in uns Frauen steckt«, erwiderte Clara mit tränenerstickter Stimme.
    Es war sein Eau de Cologne. Ein Hauch davon waberte zusammen mit dem Geruch nach Desinfektionsmittel durch den Hausflur.
    Gerhard war da. Aus irgendeinem Grund war er nicht mit seinem Kollegen zum Essen gegangen.
    Bangen Herzens nahm Clara ihren Sohn aus dem Kinderwagen und trat ein.

    Mit jedem Kilometer, den sich der Zug Berlin näherte, wuchs Adrians

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