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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Aufregung. Bald! Bald hatte er es geschafft!
    Als er sich im vergangenen Herbst auf die Rückreise gemacht hatte, hätte er nie geglaubt, dass sie sich so lange hinziehen würde. Nun war sogar seine erste Lieferung von Fahrrädern vor ihm angekommen: Zweitausend Räder, das Stück zu umgerechnet je fünfzig Mark, hatten im März Berlin erreicht. Sein Vater und seine Schwester hatten die Fracht, die in vier Eisenbahnwaggons gekommen war, übernommen und auch deren Einlagerung in eine riesengroße leerstehende Halle organisiert. Was seine Familie von seinem hochspekulativen Abenteuer hielt, wusste Adrian bis heute nicht. Aber er würde es bald erfahren.
    Sehnsüchtig schaute Adrian aus dem linken Abteilfenster. Irgendwo dort hinten, im Osten der Stadt, befand sich die Lagerhalle. Er konnte es kaum erwarten, seine Crescent Bikes unter die Lupe zu nehmen. Der Handel mit Fahrrädern – das war alles, was ihm, dem leidenschaftlichsten Fahrer von allen, geblieben war. Nun war er dabei zum Erfolg verdammt …
    Dass er für den Import der Räder die Hilfe seiner Familie würde in Anspruch nehmen müssen, war ihm klargeworden, als seine Wunde am Knie nicht aufhören wollte zu eitern. Mit einem offenen Bein konnte er unmöglich reisen. Statt wie geplant Anfang des Jahres heimzufahren, hatte seine Abreise plötzlich wieder in den Sternen gestanden, mehr noch, es war fraglich geworden, ob er überhaupt jemals die Heimat wiedersehen würde. Von Fieberschüben geplagt, schon halb im Delirium, hatte er eine Krankenschwester um Papier und Feder gebeten und den Brief an Irene geschrieben. Kraft für ausführliche Erklärungen hatte er nicht, lediglich Lieferdatum und Lieferort nannte er und bat die Familie, die Räder an seiner statt in Empfang zu nehmen. An Josefine hatte er auch noch schreiben wollen, doch dann war er ins Koma gefallen.
    Dabei hatte anfangs alles so gut ausgesehen. Das Chicagoer Krankenhaus verfügte über versierte Chirurgen. Diese hatten sich sogleich ans Werk gemacht, sein lädiertes Knie wieder in Ordnung zu bringen. In wenigen Wochen würde er wieder auf sein Rad steigen können, prophezeiten die Ärzte ihm nach der Operation.
    Doch dann hatte das Elend begonnen. Ganz gleich, welche Salbe die Schwestern auch einsetzten – die Wunde hatte nicht zuheilen wollen. Stattdessen vermischte sich die Salbe mit dem Eiter und der austretenden Wundflüssigkeit, und das unheilvolle Gemenge gelangte in seine Blutbahn. Eine Blutvergiftung! Eilig waren Blutegel angelegt worden, sein Bein wurde zusätzlich noch mehrmals täglich geschröpft.
    Die Tausende von Radkilometern, die Schussverletzung, nun die Blutvergiftung und das hohe Fieber – für Adrians geschwächten Organismus war alles zu viel gewesen, und er fiel für Wochen ins Koma. Nach seinem Erwachen, woran schon kaum noch jemand glaubte, hatten die Ärzte ihm erklärt, dass er unter einem so genannten Coma carus gelitten habe, der schwersten Form eines Komas.
    Natürlich wollte Adrian wissen, wodurch er am Ende doch noch dem Tod von der Schippe gesprungen war. Die Ärzte drucksten herum und warfen mit Fachwörtern um sich, so dass er am Ende genauso schlau war wie zuvor.
    Es war eine der Krankenschwestern, die ihm verriet, wem er seine Gesundung zu verdanken hatte: einem alten Potawatomi – einem Indianer, den sein Bettnachbar hatte rufen lassen. In früheren Zeiten, als sein Stamm noch das Marschland rings um Chicago besiedelte, war der Mann Medizinmann gewesen. Heute lungerte er in einer der ärmlichen Vorstadtsiedlungen herum, in der auch Adrians Bettnachbar wohnte. Eines Abends, als die meisten Ärzte schon nach Hause gegangen waren, war der Medizinmann aufgetaucht und hatte das Knie des leblos Daliegenden inspiziert. Am nächsten Tag war er erneut erschienen und hatte Knie sowie Bein großflächig mit einer übelriechenden Kräuterpaste beschmiert. Auch am darauffolgenden Tag und dem danach kam er, nahm die alte Paste ab und trug neue auf. Die Ärzte und Schwestern, mit ihrem Latein am Ende, hatten den alten Medizinmann resigniert gewähren lassen. Ihr Patient hatte eh nichts mehr zu verlieren.
    Nach zehn Tagen war die Wunde verheilt. Lediglich eine saubere hellrosa Narbe blieb zurück. Aber das Knie ließ sich nicht mehr abwinkeln. Adrian erwachte aus dem Koma. Als Adrian dies alles erfuhr, war sein Bettnachbar längst entlassen worden. Doch dank seines Insistierens gelang es ihm, bei der Krankenhausverwaltung die Adresse des Mannes herauszubekommen. In

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