Solang die Welt noch schläft (German Edition)
gern mitgefahren. Nicht als Fahrerin, Gott behüte! Aber als Beobachterin, als Tourist, wie man heute so schön sagt. Aber mein Mann …« Clara biss sich auf die Lippe. In kurzen Zügen erzählte sie von der Hetzkampagne, die Gerhard Gropius gegen den Damen-Veloverein angezettelt hatte.
»Und wenn er das Damen-Radfahren verdammt bis in alle Ewigkeit – das ist noch lange kein Grund, dich zu schlagen«, antwortete Adrian wütend. »Clara, dass dein Mann dir die Freundschaft zu Jo verbietet, darfst du dir nicht gefallen lassen. Josefine ist deine Freundin, ihr kennt euch von Kindesbeinen an. Außerdem – ganz gleich, welche unterschiedlichen Ansichten es zwischen Eheleuten gibt, es ist unter der Würde eines Herrn, sich an einem Schwächeren zu vergehen. Das kannst du ihm gern von mir ausrichten.«
»Wer sagt denn, dass ich die Schwächere bin?«, wollte Clara wissen, und Adrian sah einen Funken Zorn in ihren sonst so sanftmütigen Augen aufblitzen.
Statt jedoch das Thema zu vertiefen, spürte Adrian der Idee nach, die in seinem Kopf immer mehr Gestalt annahm. Was wäre, wenn …
Er holte tief Luft und fragte: »Wann sind sie abgefahren? Und hat Josefine dir von den Plänen für die nächsten Tage erzählt? Das Rennen wird doch nicht gleich morgen beginnen, oder?«
Clara verneinte. Zuerst würde es zwei Tage Eingewöhnungszeit in Kopenhagen geben. Dort sollten sich die dänischen und die ausländischen Fahrerinnen kennenlernen, Charles Hansen wollte Details zum Streckenverlauf und zu weiteren wichtigen Fragen bekanntgeben. Der Startschuss für das Rennen sollte am 4. Mai fallen.
Heute war der 1. Mai … Kurz rechnete Adrian nach. Dann lächelte er.
»Das wirft jetzt zwar all meine Pläne über den Haufen, aber was soll’s! Ich würde es wahrscheinlich für immer bereuen, nicht dabei gewesen zu sein.«
»Du willst … nach Kopenhagen?« Clara schaute ihn verblüfft an. »Aber du bist doch gerade erst nach Hause gekommen! Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Isabelle …«
Er winkte ab. »Isabelle interessiert mich nicht«, sagte er kühl. »Es ist Josefine, der ich zur Seite stehen möchte.«
Claras Augen weiteten sich. »Du und Josefine?« Sie lachte leise auf. »Warum wundert mich das nicht? Irgendwie habe ich es schon lange geahnt.«
»Weil du eine wahre Freundin bist.« Adrian ergriff lächelnd Claras Hand. »Und du? Komm doch einfach mit! Ich bezahle dir gern die Reise. Und wenn du möchtest, versuche ich auch, deinen Mann umzustimmen, damit er dir die Erlaubnis gibt.«
Doch Clara schüttelte den Kopf. Dann stand sie auf, strich sich ihren Rock glatt. Mit fester Stimme und noch festerem Blick sagte sie: »Mein Platz ist hier, bei meinem Sohn, genauso wie dein Platz an Josefines Seite ist. Aber eins verspreche ich dir: Wenn Josefine und ihr anderen wieder in Berlin ankommt, werde ich am Bahnhof stehen und euch begrüßen!«
31. Kapitel
»Das Wichtigste ist, dass ihr das Trinken nicht vergesst! Mindestens alle zwei Stunden müsst ihr eure Blechflaschen frisch mit Wasser füllen.« Eindringlich schaute Charles Hansen in die Runde. »Jedes Gehöft, an dem ihr vorbeikommt, hat einen Brunnen. Das Wasser ist in Dänemark überall von guter Qualität, ihr braucht also keine Angst vor verschmutztem Wasser zu haben. Außerdem haben wir alle Bauern entlang unserer Route über das Rennen informiert, ihr werdet überall auf hilfsbereite und freundliche Menschen treffen. Wenn euch frische Milch angeboten wird, nehmt sie an, ein solch nahrhafter Trunk tut immer gut! Und wenn es hier und da die Schnapsflasche ist, die euch ein Bauer hinhält, dann schadet ein Gläschen davon auch nicht.«
Die versammelten Frauen und Männer lachten.
Wie alle anderen hing auch Josefine an Charles Hansens Lippen. Seit ihrer Ankunft war dies schon die dritte Zusammenkunft.
Hansen hatte für die Teilnehmer des Rennens ein familiär geführtes Hotel am Stadtrand von Kopenhagen gebucht, so dass alle unter einem Dach übernachteten. Der Speisesaal des Hotels war außerdem groß genug für ihre Versammlungen. Gleich am ersten Abend hatten sie sich getroffen. Bei deftiger dänischer Hausmannskost sollten sich die Fahrerinnen und die mitfahrenden Männer zwanglos kennenlernen – Susanne Lindberg legte viel Wert auf Harmonie und ein gutes Miteinander. »Bei uns zählt nicht der Konkurrenzgedanke, sondern der Wille, das Rennen zu beenden«, sagte sie mehr als einmal.
Viele der Fahrerinnen kannten sich jedoch schon von
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