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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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gut könnte sich dein Vater selbst anklagen, zu nachlässig mit dem Scheunenschlüssel umgegangen zu sein. Oder die Streichhölzer nicht besser weggesperrt zu haben. Dein kleiner Bruder war besessen vom Feuer, das wusste doch jeder hier in der Straße. Wo immer er ging und stand, hat er uns Streichhölzer stibitzt, irgendwann musste etwas geschehen. Einmal hatte ich meine Lesebrille samt Zeitung draußen liegenlassen. Und als ich beides ins Haus holen wollte, erwischte ich euren Felix dabei, wie er die Brille in die Sonne hielt und als Brennglas benutzte. Die Zeitung brannte lichterloh! Weil ich doch so gern Fußbäder mache, hatte ich zum Glück einen Eimer Wasser unter dem Tisch stehen, wer weiß, was sonst passiert wäre.«
    »Das hast du mir nie erzählt«, sagte Josefine mit leiser Stimme. Sie schlang die alte Strickjacke, die Frieda ihr gegeben hatte, fester um sich. Gleich darauf wurde sie von einem Hustenanfall geschüttelt.
    »Kind, du hustest dich noch zu Tode!« Frieda reichte ihr eine Tasse süßen Kräutertee. Dann begann sie, erst Josefines rechte, dann die linke Hand mit weißem Baumwollmull neu zu verbinden. »Deine Mutter wusste, dass der Felix gern zündelte. Sie hat ihm nach jedem Vorfall ein paar Ohrfeigen versetzt, und das war’s. Sie hatte natürlich stets panische Angst, dass irgendwann mehr passiert. Aber was sollte sie tun? Einen zwölfjährigen Lausbub Tag und Nacht bewachen? Ein Ding der Unmöglichkeit.« Frieda legte ihre schwielige Hand auf Josefines Arm. »Gottes Wille ist stärker als wir Menschen. Außerdem: Du hast doch getan, was du konntest! Du hast dein eigenes Leben riskiert, um Felix lebend aus der Scheune zu holen. Als die Männer von der Feuerwehr dich fanden, lagst du leblos vorn in der Scheune. Ein, zwei Minuten später wärst du selbst tot gewesen.«
    Josefine schüttelte den Kopf. »Nein, so einfach kann ich es mir nicht machen. Hätte ich …«
    Die Wochen vergingen. Josefine versank immer mehr in sich selbst, bald erinnerte nichts mehr an das robuste junge Mädchen von einst – wild und übermütig und neugierig. Blass und mit müdem Blick schleppte sie sich in die Schule, wo Clara ihr in den Pausen im Versuch, sie zu trösten, eine Bibelstelle nach der anderen vorlas. Aber Josefines Schuldgefühle wogen schwerer als die Worte von Matthäus oder Johannes. Nach der Schule half sie weiterhin ihrem Vater in der Schmiede. Der Schmied-Schmied hatte gleich am Tag nach Felix’ Beerdigung begonnen, seine Werkstatt wieder aufzubauen. Die Leute nannten ihn tapfer und klopften ihm anerkennend auf die Schulter. Doch Josefines Blicken wichen sie aus.
    Es kam selten vor, dass Frieda einen ihrer Nachbarn besuchte. Aber manchmal musste man eben Ausnahmen machen, dachte Frieda, als sie am Abend des ersten Augusttages 1889 ihr Ausgehtuch über die Schultern legte.
    Während sie die Straße entlanglief und in jedem Hof Männer und Frauen sah, die mit erschöpfter Miene und gebücktem Kreuz den letzten Rest ihres Tagwerks verrichteten, dankte sie wieder einmal ihrem gütigen Schicksal. Es hatte dafür gesorgt, dass sie nach dem Tod ihres Mannes, der Werkzeugmacher gewesen war, endlich leben konnte, wie sie wollte: Sie konnte morgens lange schlafen und sich dann gemütlich mit ihrer Katze und der Tageszeitung auf die Bank vor ihrem Haus setzen. Oder einen ganzen Tag im Bett verbringen mit neuen Büchern, die sie sich von Zeit zu Zeit gönnte. Es kam auch vor, dass sie Stunden damit verbrachte, das Flötenspiel zu erlernen – Musik hatte sie schon immer fasziniert. Daneben malte und zeichnete sie gern, eigentlich gab es immer etwas, was Frieda interessierte.
    Gedanken an Geld oder ihren Lebensunterhalt verschwendete Frieda nicht. Dank des stattlichen Geldbetrags, den ihr griesgrämiger Mann ohne ihr Wissen auf seinem Bankkonto angehäuft hatte, konnte sie sich ein sorgloses Leben leisten. Das Haus und der große Garten gehörten ihr ebenfalls, beides schuldenfrei. Natürlich war den Leuten in der Straße ihre Art zu leben mehr als suspekt – alle hatten damit gerechnet, dass sie die Werkstatt verkaufen oder vermieten würde. Oder dass sie den Gesellen heiraten würde, der früher in der Werkstatt mitgeholfen hatte, und dass dieser das Geschäft im alten Stil weiterführen würde. Doch im Laufe der Zeit gewöhnten sie sich an Friedas exzentrischen Lebensstil, und so manch einer kam mehr oder weniger heimlich auf ein Glas Wein und ein gutes Gespräch bei ihr vorbei. Der Schmied-Schmied

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