Solang die Welt noch schläft (German Edition)
ansah, hatte Clara jedoch auf eine Haushaltsschule geschickt, zur Vorbereitung für ihre späteren Aufgaben als Ehefrau. Dort war Clara vor lauter Langeweile fast gestorben. Mit einer Beharrlichkeit, die ihr niemand zugetraut hatte, war es ihr schließlich gelungen, sich gegen ihre Mutter durchzusetzen. Und heute stand sie in blütenweißer Schürze neben Anton Berg in der Apotheke … Kluge Clara. Sie hatte ihren Traum wahr werden lassen, wohingegen sie, Jo, ihre eigenen Träume einfach in den Wind geschrieben hatte.
Clara seufzte. »Aber bald wird mir mein Vater beim Seifesieden und Salbenherstellen wieder über die Schulter schauen und alles besser wissen. Heute Abend will nämlich ein Arzt kommen und sich als Fritsches Nachfolger vorstellen. Es hat ja lange genug gedauert, bis sich jemand fand, der die Praxis übernehmen will …«
Da keine der drei mehr etwas zu diesem Thema sagen konnte, stellte sich Schweigen ein. Die Illusion, dass sie nur zu einem gemütlichen Plausch beieinandersaßen, zerplatzte plötzlich wie eine Seifenblase, und alle drei fühlten sich in ihrer Haut unwohl.
Es tut mir leid, wollte Josefine sagen. Sie spürte die Worte schon auf den Lippen, aber sie schwieg. »Es tut mir leid« sagte man, wenn man jemandem auf den Fuß getreten hatte. In ihrem Fall hätte es sich eher höhnisch angehört.
Isabelle räusperte sich. »Wir sollten langsam wieder gehen. Ich … muss noch Französischvokabeln lernen – Madame Blanche hat für morgen einen Test angesetzt. Wieder einmal! In Englisch steht auch einer an. Ich möchte wirklich wissen, wofür die ganzen Fremdsprachen gut sein sollen – wo ich doch eh nicht aus Berlin herauskomme. Außerdem sind wir heute Abend auf einem Ball eingeladen und es gibt noch einiges vorzubereiten.«
Jo lächelte. »Deine Haare sitzen doch schon jetzt perfekt, sag bloß nicht, du willst sie wieder stundenlang frisieren lassen?«
Die Unternehmertochter verzog das Gesicht. »Es ist nun einmal der Wunsch meines Vaters, dass ich stets wie aus dem Ei gepellt erscheine.«
»Und? Hat sich inzwischen ein passender Heiratskandidat gefunden?«, fragte Jo und konnte nichts gegen das geheuchelte Interesse in ihrer Stimme tun. Wann würde die Wärterin kommen und sie holen? Musste sie zu Krotzmann zurück? Ein Frösteln lief ihr über den Rücken. Oder würde sie gleich zum Hausmeister gehen müssen? Wenn dieser genauso widerlich war wie Krotzmann, dann gute Nacht … Ob sie mit ihren wunden Händen überhaupt würde arbeiten können? Krotzmann – er sollte es nicht wagen, sie noch einmal zu schlagen!
»Ich und heiraten? Gott behüte!«, sagte Isabelle affektiert. »Dazu liebe ich meine Freiheit viel zu sehr.«
»Was ist eigentlich aus diesem jungen Freiherrn von Salzfeld geworden, der deiner Mutter so gut gefiel?«, fragte Clara. »Als sie einmal bei uns in der Apotheke war, erzählte sie so begeistert von ihm, als würden schon bald die Hochzeitsglocken läuten.«
»Der mit dem Landschloss und großen Ländereien östlich von Berlin und seinen ach so großartigen Verbindungen zum Kaiserhof? Der hätte Mutter tatsächlich sehr gut gefallen«, sagte Isabelle spöttisch. »Ich fand ihn jedoch schrecklich öde, also habe ich ihn in die Flucht geschlagen, wie alle anderen auch. Eine dumme Bemerkung hier, ein etwas auffahrendes Benehmen da – und weg sind sie! Es geht ganz einfach.« Sie lachte. »Vater rätselt heute noch, warum der junge Herr so plötzlich einen Rückzieher gemacht hat … Liebster Papa, sagte ich zu ihm. Soll ich etwa einen jungen Gockel heiraten, der dir nicht im Geringsten das Wasser reichen kann? Damit konnte ich ihn bisher immer besänftigen.« Isabelle sah zufrieden aus.
Clara hob verwundert die Brauen. »Aber wenn es dir so gar nicht ernst ist … Die vielen Ballkleider, dein Schmuck, die ständigen Besuche des Frisörs – das alles kostet doch immens viel Geld! Warum sagst du deinem Vater nicht einfach, dass du nicht heiraten möchtest – wäre damit nicht allen geholfen?«
»Da kennst du Vater schlecht! Er hat sich nun einmal in den Kopf gesetzt, dass er durch mich oder besser gesagt durch die gute Partie, die ich einmal machen werde, in die höchsten Kreise aufsteigt.«
»Dort befindet er sich doch längst«, stellte Josefine fest und dachte an die schöne Villa des Unternehmers, die bis unters Dach mit wertvollen Preziosen vollgestellt war. Wie hatte sie bei ihrem ersten Besuch gestaunt – dass Leute so lebten, hatte sie bis
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