Solang die Welt noch schläft (German Edition)
Lilo und Luise Karrer! Bestimmt waren die beiden kurz nach ihr in Koge aufgebrochen und –
»Ich … Durst … Wasser …«
»Ja. Natürlich.« Hektisch kramte Jo in ihrer größten Jackentasche. Warum hatte sie daran nicht gleich gedacht? Sie hob Isabelles Kopf noch weiter an, dann setzte sie ihr die Trinkflasche an die Lippen.
Gierig trank Isabelle ein paar Schlucke.
»Magst du auch etwas essen? Ich habe noch einen Apfel.« Noch während sie sprach, holte sie ihr letztes Stück Proviant aus der Tasche und hielt es Isabelle hin. Doch die schüttelte stöhnend den Kopf.
Hoffentlich verschwand die Totenblässe von Isabelles Wangen! Doch im nächsten Moment sank Isabelles Kopf in Josefines Schoß zurück, und die Verletzte wurde erneut ohnmächtig.
Jo hätte heulen können vor Angst und Sorge und Verzweiflung. Hilflos legte sie ihre Beine, die durch die abgewinkelte Haltung eingeschlafen waren, ein wenig anders hin. Ihren Rücken lehnte sie an die sandige Böschung. Eine Wurzel drückte schmerzhaft in ihr rechtes Schulterblatt, doch als sie versuchte, sich nochmals umzusetzen, stöhnte Isabelle auf. Seufzend behielt Jo ihre unbequeme Haltung bei.
Lieber Gott, bitte schick Hilfe, bald! Erschöpft an Körper und Geist, fielen Josefine die Augen zu.
Sie konnte später nicht sagen, wie lange sie so dagesessen hatten, aber es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Doch als Adrian und Gerd Melchior sie fanden, war es erst zehn Uhr. Es war also gerade einmal eine Stunde vergangen.
»Mir ist der Schreck durch Mark und Bein gefahren, als ich dein Fahrrad mitten auf der Straße liegen sah«, sagte Adrian. »Aber es dort abzulegen, war eine gute Idee! Wer weiß, ob wir sonst den Unfall überhaupt bemerkt hätten?«
Laut seiner Aussage waren drei französische Rennfahrerinnen hinter Josefine in Koge aufgebrochen. Falls sie nicht irgendwo zwischen Koge, Kopenhagen und Slangerup aufgegeben hatten, mussten sie vor ihrer Kutsche hier vorbeigekommen sein. »Warum haben sie euch nicht geholfen? Isabelle könnte längst medizinisch versorgt sein!«
Josefine zuckte mit den Schultern. »Ich habe geschlafen. Vielleicht haben sie ja gerufen, und als sie keine Antwort bekamen, sind sie weitergefahren.« Dass einer der dreißig Teilnehmer, ohne nachzuschauen, einfach weiterfuhr, konnte sie sich nicht vorstellen.
Adrian hingegen schon. »Einen Sport zu betreiben heißt noch lange nicht, dass jemand auch ein Sportsmann im Geiste ist«, sagte er wütend.
Behutsam hoben die beiden Männer die Verletzte an, und mit Hilfe von Josefine, die Isas Mitte stabilisierte, zogen, schoben und hoben sie sie auf die Straße. Mit einem Handstreich schuf Gerd Melchior Platz in der Kutsche, deren Boden mit Werkzeugen und Ersatzteilen übersät war. Auf einer Decke legten sie Isabelle ab.
»Und du? Ist bei dir alles in Ordnung?« Fragend hob Adrian Jos Kinn an, so dass er ihr in die Augen sehen konnte.
Jo lächelte. »Mir geht’s gut. Ich bin ja nun unfreiwillig zu einer weiteren Stunde Schlaf gekommen. Aber Isabelle … Ich mache mir Sorgen um sie. Vielleicht hat sie irgendwelche inneren Verletzungen.« Bevor sie wusste, wie ihr geschah, weinte sie los.
Zärtlich tupfte Adrian ihr die Tränen fort. »Das ist die Anspannung, Liebes. Aber du brauchst dir keine unnötigen Sorgen zu machen, ich denke, Isabelle ist lediglich völlig erschöpft. Mit dem Rennen hat sie sich allem Anschein nach übernommen. Und ihr feiner Freund hat auch nicht gerade dazu beigetragen, dass sie es langsam angehen lässt – wo ist er eigentlich?«
»Das wüsste ich auch gern«, seufzte Jo und drückte eine Faust gegen ihr schmerzendes Rückgrat. »Als ich hier ankam, lag sie allein da, Gott weiß, wie lange schon.« Sie biss sich auf die Lippen. War es unsportlich, wenn sie … Nach einer kurzen Pause räusperte sie sich.
»Wäre es vielleicht möglich … Du und Gerd Melchior seid doch jetzt hier. Und Kopenhagen ist nicht weit, dort im Krankenhaus ist Isabelle in guten Händen. Also, ich meine …« Sehnsüchtig schaute Josefine auf ihr Rad, das noch immer auf der Straße lag.
Wortlos ging Adrian zur Kutsche und kramte eine Wasserflasche und zwei in Papier eingewickelte Brote hervor. Beides hielt er ihr mit einem aufmunternden Lächeln hin. »Proviant für die nächsten hundert Kilometer. Du weißt ja, die nächste Versorgungsstation gibt es erst wieder in Kalundborg.« Er gab ihr einen Kuss. »Und nun ab mit dir! Aber fahr bloß vorsichtig, ein Unfall reicht.«
Jo
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