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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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gestört habe. Ich wollte nur … Wasser.« Sie zeigte auf den Brunnen. »Vand – verstehen Sie?« Im letzten Moment erinnerte sie sich an das Wort, das Charles Hansen so oft verwendet hatte. »En flaske med vand« – eine Flasche Wasser. »Bitte lassen Sie mich jetzt gehen.«
    Der Bauer nickte, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Dann zeigte er auf ihre zitternden Beine.
    »Du er syg?«
    »Ob ich was bin? Krank? Ney …« Jo biss sich auf die Lippen. Wenn sie jetzt etwas Falsches sagte, hielt er sie womöglich für leichte Beute und –
    Der Bauer zeigte auf ihr Rad und sagte einen langen dänischen Satz, von dem Jo nur zwei Wörter verstand. Susanne Lindberg.
    »Ja!«, rief sie erleichtert. »Ich fahre das Rennen mit! Aber die Beine …« Sie zeigte an sich hinab.
    Die grimmige Miene des Mannes verzog sich von einem Moment zum anderen zu einem breiten Grinsen. Eine begeistert klingende, für Jo aber unverständliche Rede folgte, in der mehrmals Susannes Name fiel.
    Beruhigt, aber immer noch von leichten Krämpfen geplagt, wollte Jo ihr Rad aufheben. Doch der Bauer war schneller. Eilfertig hielt er es ihr hin. Dann sagte er etwas, was Josefine so deutete, dass sie hier warten sollte. Wild gestikulierend rannte er ins Haus.
    Sie blieb stehen. Mit den Schmerzen im rechten Oberschenkel würde sie sowieso nur ein paar hundert Meter weit fahren können. Angst hatte sie nun nicht mehr, vielmehr hoffte sie, dass der Mann ihr ein Glas Milch oder einen Happen zu essen bringen würde.
    Als der Bauer zurückkam, hatte er jedoch außer einem kleinen braunen Glastiegel nichts in der Hand. Er öffnete den Deckel und hielt Jo das Glas unter die Nase.
    Der Geruch, der ihr aus dem Tiegel entgegenschlug, war so scharf und durchdringend, dass sie sofort zu prusten begann. Hektisch fuchtelte sie mit ihrer Hand den Gestank fort.
    Der Bauer lachte. Dann reichte er ihr den Tiegel und machte mit seiner Hand eine Bewegung, als wollte er sein rechtes Bein einreiben.
    Zweifelnd schaute Jo erst den Bauern, dann die dunkelbraune, übelriechende Salbe an. Die Leute vom Land kannten wahre Wundermittel gegen viele Zipperlein, das hörte man immer wieder. Aber sollte sie wirklich? Oder hieß die Frage nicht besser: Was hatte sie zu verlieren? Entweder die Salbe half gegen ihre Krämpfe und sie konnte weiterfahren. Oder sie schadete ihr so sehr, dass das Rennen hier zu Ende war.
    Entschlossen tupfte Jo mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand in den Tiegel und holte einen Klecks Salbe heraus.
    Der Mann wandte sich von ihr ab, so dass sie ihren Hosenrock lüpfen und ihre Beine einreiben konnte. Sie fand die ganze Situation so verrückt, dass sie ein hysterisches Lachen unterdrücken musste.
    Die gerade noch zähe Salbe zerging auf ihrer Haut sofort und ließ sich gut verteilen. Jo massierte sie in kreisenden Bewegungen ein.
    Sie spürte die Wirkung sofort. Zuerst war es nur ein leichtes Prickeln auf der Haut. Dann ein Brennen, das von der oberen Hautschicht tiefer in ihr Fleisch eindrang. Überall dort, wo Krämpfe ihre Muskeln verhärtet hatten, wurde das Gewebe warm und weich, die Schmerzen schwanden. Jo runzelte die Stirn. Unglaublich! Was war das nur für Teufelszeug?
    »God?«, rief der Bauer ihr über seine Schulter hinweg zu.
    Jo lachte auf. »Und ob das gut ist! Das ist sogar … wunderbar!«
    Der Bauer drehte sich zu ihr um und klopfte ihr mit seiner rechten Pranke so begeistert auf die Schulter, dass Jo neuerliche Schmerzen befürchtete. Dann wies er sie an, den Salbentiegel einzustecken.
    »Wirklich?« Jo strahlte.
    Als sei nichts gewesen, schwang sie kurz darauf ihr rechtes Bein übers Rad. »Vielen Dank! Sie haben mich gerettet, wirklich.«
    Der Bauer, der ebenfalls kein Wort verstand, ihre Freude und Erleichterung jedoch wahrnahm, lachte.
    »God rejse!«
    Die Luft roch herrlich nach Seetang, Salz und dem Rauch, der aus den Kaminen der Fischräuchereien aufstieg. Die ganze Küste lebte vom Fischfang, kein Wunder bei den vielen kleinen Fjorden, die teilweise weit ins Land hineinreichten. In den geschützten Meeresarmen schaukelten Dutzende kleine Fischerboote auf und ab. Am Ufer holten Männer mit tief in die Stirn gezogenen Hüten große Netze ein und schleppten Kisten mit Fisch von den Booten ans Land, ihre Arbeit war stets begleitet von den Möwen, die kreischend auf Beute lauerten.
    Beschwingt fuhr Josefine an alldem vorbei. Es gab so viel zu sehen!
    Dennoch – das Erlebnis mit dem Bauern hatte sie nachdenklich gemacht.

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