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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Vater können es kaum erwarten, mich loszuwerden.« Noch während sie sprach, spürte sie, dass der alte Schmerz langsam nachließ. Die Dinge waren nun einmal, wie sie waren, und nicht alles ließ sich ändern.
    Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, sagte nun auch Lilo: »Was soll’s, das Leben ist nun mal, wie es ist. Und durchs Jammern allein ist noch nie etwas besser geworden. Gleich nach dem Dreikönigsfeiertag werde ich mich selbst um eine Arbeit bemühen. In Schömberg wird nämlich noch eine neue Heilanstalt eröffnet, für die feinen Leute, so heißt es. Dort können sie Arbeitskräfte sicher gut gebrauchen. Wer weiß, vielleicht kann ich sogar Krankenschwester werden?« Lilo klang bei ihren Worten schon wieder recht frohgemut.
    Josefine schaute ihre neue Freundin bewundernd an. »Krankenschwester! Was du für Pläne hast …«
    »Hast du etwa keine? Dann bist du selbst schuld«, sagte Lilo. »Ich mache jedenfalls fast immer das, wonach mir der Sinn steht. Und weißt du, was das im Augenblick ist?« Sie wartete Josefines Kopfschütteln kaum ab, dann sagte sie: »Velo fahren, sooft es geht!« Lachend nahm sie Josefine den Lenker aus der Hand und schob das Rad vom Feldweg auf die Straße.
    Die Straße war bestens zum Fahren geeignet. Schnurgerade lief sie zwischen der hügeligen Landschaft mit ihren wintermüden Äckern und Weiden hindurch.
    Natürlich wollte Lilo die erste Runde fahren. Staunend schaute Josefine ihrer immer schneller und kleiner werdenden Figur nach. Dass es möglich war, eine solche Geschwindigkeit zu erlangen, ohne dabei auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen! Oder in einer Eisenbahn, die ja ein Wunder an Technik war. Josefine runzelte die Stirn. Und wenn sie es tausend Mal mit eigenen Augen sah – irgendwie mochte sie es immer noch nicht glauben.
    Das zweite Mal ging alles schon wesentlich leichter. Ohne Angst stellte Josefine ihren zweiten Fuß aufs Pedal und genoss sogar das Gefühl, die Bodenhaftung zu verlieren.
    »Wehe, du machst wieder irgendwelche Kapriolen!«, rief Lilo ihr hinterher, während sie langsam ins Rollen kam. Sie solle bis zu einer alten Linde mit einer Bank ringsum fahren, dort langsamer werden und dann umdrehen, hatte sie Josefine erklärt. Josefine hatte folgsam genickt. Der Baum war von ihrem Ausgangspunkt aus nicht zu sehen, also würde die Fahrstrecke ein gutes Stück lang sein.
    Links das Pedal hinabtreten, rechts das Pedal hinabtreten, links – mit jeder Drehung der Räder fühlte sich Josefine sicherer. Der Fahrtwind legte sich kühl und erfrischend auf ihre Wangen, ein paar Strähnen lösten sich aus ihrem Zopf und flatterten wie seidene Bänder im Wind. Die gummierten Räder hinterließen ein leises Knirschen auf dem Straßenboden.
    Wie still der Winter hier war. Ganz anders als in der Stadt. Sie war allein, allein in einem Ozean von Stille. Und sie konnte fliegen! Konnte allem davonfliegen. Je schneller sie fuhr, desto eisiger spürte sie den Wind im Gesicht, desto kälter wurden ihre Hände, desto klarer ihre Gedanken.
    Ihr kleiner Bruder war tot. Nichts und niemand auf der Welt würde ihn wieder lebendig machen. Sie aber lebte! Sie hatte Beine, die kräftig in die Pedale treten konnten, und Hände, mit denen sie den Lenker fest umklammert hielt. All dies würde Felix nie mehr erleben. War sie es ihm nicht schuldig, dass sie weiteratmete, weiterlebte, für sich und für ihn? Dass sie all die Dinge tat, die er nicht mehr tun konnte?
    Das Leben lag vor ihr wie diese Straße, ein wenig bucklig und steinig, aber auch verheißungsvoll und aufregend. Vielleicht würde sie auch bald »Pläne« haben, so wie Lilo.
    Die Muskeln in Josefines Oberschenkeln brannten, als sie noch schneller in die Pedale trat. Sie war frei! Sie konnte allem davonfahren, was beschwerlich und traurig war.
    Josefine blinzelte heftig gegen den Fahrtwind an. Tränen rannen über ihr Gesicht, wuschen sie rein von allen Sünden. In ihren Ohren begann es zu brausen, ihre Lunge brannte, aber kein Husten, nicht einmal ein leises Räuspern kroch empor.
    Wem hatte sie die ganze Zeit über etwas husten wollen? Dem lieben Gott dafür, dass er sie hatte überleben lassen? Hätte sie ihm nicht vielmehr danken müssen? Es hatte nicht viel gefehlt und das Feuer hätte auch sie aufgefressen. Aber sie war davongekommen.
    Schneller, schneller, flieg davon! Die Linde mit der Sitzbank war schon in Sichtweite, als sich die eiserne Fessel, die so lange um Josefines Brust gelegen hatte, löste. Mit einem

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