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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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und als die Fabrik von Moritz Herrenhus noch in den Anfängen gesteckt hatte, war das Mädchen mit den roten Haaren mit den anderen Kindern der Straße herumgezogen. Sie hatten Verstecken gespielt, Himmel und Hölle und Fangen. Oft hatten sie sich einen Spaß daraus gemacht, die rothaarige, blasse Isabelle zu triezen. »Hexenkind!«, hatten sie sie gerufen. Und: »Zeig uns deinen Besen!« Sie hatten gelacht, wenn es ihnen gelang, das Mädchen damit zum Weinen zu bringen. Irgendwann wurde rings um die Villa des Unternehmers eine große weiße Mauer gebaut. Und Isabelle verschwand. Niemand hatte sie sehr vermisst, die Spiele der Kinder waren einfach ohne sie weitergegangen.
    »Nach dem Kirchgang heute früh habe ich Moritz Herrenhus im Schlesischen Busch damit fahren sehen. Er betreibt den Radsport so, wie andere reiche Herren Hockey oder Tennis spielen. Und wie die Herren immer angeben mit ihren Drahteseln, richtig peinlich ist das.« Clara verzog abfällig den Mund.
    Drahtesel – dieses Wort fiel nun schon zum zweiten Mal. Sie würde es unbedingt Lilo schreiben müssen!
    Josefine seufzte sehnsüchtig auf.
    »Ach, ihr könnt euch nicht vorstellen, wie wunderschön es ist, auf einem solchen Velo zu fahren. Dieses Freiheitsgefühl! Die Geschwindigkeit, als würde man fliegen. Und so gefährlich ist es gar nicht. Ich muss jedenfalls unbedingt eine Möglichkeit finden, wieder Velo fahren zu können.«
    »Bist du verrückt? Weißt du, was die Zeitungen über velofahrende Frauen schreiben? Sie sprechen von einer Schande fürs weibliche Geschlecht.«
    »Davon hat Lilo mir auch erzählt, aber ich wollte es nicht glauben«, erwiderte Josefine nachdenklich.
    »Man sollte nicht alles, was die Zeitungen schreiben, allzu wichtig nehmen«, mischte sich Frieda wieder ins Gespräch ein. »Die jungen Damen waren meiner Ansicht nach nicht besonders klug, eine Velofahrt mitten durch den Tiergarten zu unternehmen. Wären sie hinaus aufs freie Land gefahren, hätten sie unbemerkt ihren Spaß haben können.«
    Clara runzelte die Stirn, doch Josefine nickte enthusiastisch. »Genau! Lilo hat auch immer darauf geachtet, dass die Luft rein war.«
    Frieda lachte. »Das Mädel wird mir immer sympathischer. Hoffentlich klappt es in diesem Jahr mit einem Besuch, ich habe sie und ihren Vater schon so oft eingeladen, aber bisher wurde nichts daraus.«
    »Isabelles Vater …«, sagte Josefine gedehnt. »Meint ihr, er lässt mich mal einen Blick auf sein Velo werfen?«
    »Aber Josie, du kannst doch nicht einfach in die Villa gehen, und dann wegen solch einer Angelegenheit«, bemerkte Clara entsetzt.
    »Und warum nicht?«, erwiderte Josefine trotzig.
    »Weil … weil …« Hilfesuchend schaute Clara zu der alten Nachbarin, doch Frieda sagte: »Es kommt auf einen Versuch an. Warum geht ihr nicht nachher einfach dort vorbei und schaut, ob Isabelle zu Hause ist? Vielleicht freut sie sich, wenn ihr euch nach all den Jahren einmal wieder bei ihr blicken lasst.«
    »Das machen wir! Aber … da wäre noch etwas«, Josefine räusperte sich. »Könntet ihr mich bitte fortan Jo nennen?«

7. Kapitel
    Die rechte Hand schon am Klingelzug, hielt Josefine inne. War es nicht doch ein wenig vorwitzig, nach all den Jahren einfach so bei Isabelle aufzutauchen? Und dann auch noch mit einer ungewöhnlichen Bitte?
    »Komm, lass uns lieber gehen«, sagte auch Clara und zupfte an Josefines Ärmel.
    Doch da drückte Josefine schon die Klingel. Im nächsten Moment ertönte melodisches Glockenläuten.
    Die schwere geschnitzte Haustür ging auf, und vor ihnen stand eine attraktive junge Frau in einem narzissengelben Ausgehkostüm, mit farblich passenden Handschuhen und Hut. War das Isabelle?
    »Oh, ich dachte …« Die junge Frau stutzte. »Und wer bitte seid ihr?«
    »Wir … äh … Mein Name ist Josefine, und das ist Clara«, sagte Jo mit belegter Stimme. »Erinnerst du dich denn nicht? Früher, als wir noch Kinder waren, haben wir öfter miteinander gespielt …«
    Isabelle schaute Josefine mit zusammengekniffenen Augen an. »Und ob ich mich erinnere! Gehörtest du nicht zu denen, die mich wegen meiner roten Haare ständig geärgert haben?«
    »Daran … kann ich mich nun gar nicht erinnern«, stotterte Jo. »Deine Haare sind doch wunderschön!«, fügte sie aus vollem Herzen hinzu. Eine solch aufwendige Hochsteckfrisur hatte sie noch nie gesehen. Mit glitzernden Kämmen darin und vielen kunstvoll gelegten Locken wäre sie einer Braut angemessen gewesen. Im

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