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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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wurde ihr die Unmöglichkeit ihrer Situation bewusst: Sie lag in Männersachen nachts auf einer regennassen Straße, weit entfernt von zu Hause, wahrscheinlich mit gebrochener Schulter. Und was noch viel schlimmer war: Die Gabel des Velos war ebenfalls gebrochen.
    Sie hatte Moritz Herrenhus’ Rover zu Schrott gefahren.

12. Kapitel
    Berlin, November 1891,
    Frauengefängnis Barnimstraße
    Jo zog die muffige Decke noch weiter über ihren Kopf. Wie sollte sie je die Schulden, die durch den Schaden entstanden waren, zurückzahlen? Oder würde Herrenhus das Geld bei ihren Eltern einfordern? Was für ein schrecklicher Gedanke! Aber nur einer von vielen.
    »Mach was aus deinem Leben!«, hatte Frieda ihr immer wieder gesagt. Die alte Freundin hatte ihr stets so viel zugetraut, sie war wie die Großmutter gewesen, die Josefine nie gehabt hatte.
    Jos leerer Blick blieb an den schweren Eisenstäben vor dem Fenster hängen. Alle Menschen, die ihr etwas bedeuteten, hatte sie fürchterlich enttäuscht. Und statt aus ihrem Leben etwas zu machen, saß sie hier, hinter Gittern. Was für ein Alptraum …

    Fahrig schaute Moritz Herrenhus auf seine goldene Taschenuhr. Fünf nach eins. Um ein Uhr waren sie verabredet gewesen. Was hatte diese Verzögerung zu bedeuten? Gottlieb Neumann war nicht bekannt für Unpünktlichkeit, eher traf das Gegenteil zu – der Eigentümer der Elektronischen Werke Berlin, kurz EWB genannt, galt als äußerst korrekt und präzise. Wollte Neumann ihm durch sein Zuspätkommen sagen, dass immer noch er den Ton angab, ganz gleich, in welcher Misere er sich derzeit befand? Oder hatte der Mann es sich gar anders überlegt und tauchte gar nicht auf? Hatte er eine andere Lösung für sein akutes »Problem« gefunden? Aber welche Lösung sollte es geben? Soviel er, Herrenhus, wusste, war derzeit keine Bank bereit, dem Großindustriellen weitere Darlehen zu gewähren – zu groß waren seine schon bestehenden Verbindlichkeiten. Sicher, es herrschte Gründerstimmung allerorts. Aber als Neumann nach unzähligen Investitionen noch einen weiteren Konkurrenten aufgekauft hatte, ohne zuvor die Finanzierung abzusichern, war ein Raunen durch das Berliner Geschäftsleben gegangen. Weitsicht nannten es die einen, Größenwahn die anderen. Gleichzeitig waren sich alle einig darin, dass die Elektrotechnik die beherrschende Industrie der kommenden Jahre sein würde.
    Moritz Herrenhus hatte die Eingangshalle des Hotels Central als Treffpunkt bestimmt, nun fragte er sich, warum er kein Restaurant gewählt hatte. Dann hätte er die Wartezeit für einen kleinen Imbiss nutzen können. Dass er hier wie bestellt und nicht abgeholt saß, gefiel ihm überhaupt nicht. Es war ärgerlich genug, dass er dieses Gespräch überhaupt führen musste! Und wem hatte er all diese Unannehmlichkeiten zu verdanken? Bei dem Gedanken an seine Tochter Isabelle kroch unwillkürlich ein leises Knurren aus seiner Kehle.
    Seit über einem Jahr waren sie nun schon auf Bräutigamschau. Dutzende von Abendroben hatte er für Isabelle und ihre Mutter gekauft, Frisörrechnungen bezahlt, dazu kamen die Kosten für Schmuck, Schuhwerk, diverse andere Accessoires und Gastgeschenke. Ganz oder gar nicht – das war seine Devise. Er wollte sich später einmal nicht vorwerfen müssen, zu wenig Einsatz gezeigt zu haben. Isabelles Einsatz hingegen ließ zu wünschen übrig: Die ganze Zeit über hatte sie sich lieber mit ihrer kriminellen Freundin Josefine vergnügt, statt die Heiratsangelegenheit ernst zu nehmen. Wie hatte das Hufschmied-Luder es wagen können, sein Velo an sich zu nehmen! Na, wenigstens hatte das Weib seine gerechte Strafe erhalten. Sicher, er hätte die Angelegenheit auch mit dem Schmied-Schmied unter vier Augen regeln können, der Mann hatte den Schaden des Velos sowieso übernehmen müssen. Aber nun, da Josefine Schmied hinter Gittern saß, würde sie Isabelle gewiss nicht mehr vom Wesentlichen ablenken, dachte Herrenhus mit stiller Befriedigung.
    Wäre Isabelle hässlich gewesen oder uncharmant, hätte er die Tatsache, dass noch immer keine Heirat bevorstand, verstehen können. Aber ganz gleich, bei welchem gesellschaftlichen Ereignis sie auch auftauchten – Isabelle gehörte stets zu den attraktivsten Damen, daran änderten nicht einmal ihre widerspenstigen roten Locken etwas. Sie war jedes Mal von einer Traube junger Herren umschwärmt, erntete bewundernde Blicke und Komplimente und bekam Einladungen zu weiteren gesellschaftlichen Ereignissen.

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