Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
nicht so ganz ihre Stärke.«
Alfons hatte Carla geholfen, sich von Pelz, Mütze, Schals und Stiefeln zu befreien. »Ist das herrlich«, rief sie. »Kälte und Schnee! Ihr glaubt gar nicht, wie sehr ich das all die Jahre vermisst habe. Hanno wird sicher ganz neidisch sein.«
»Ist er nicht mitgekommen?«, fragte Natascha erstaunt.
»Nein, er bleibt noch ein Jahr, um den neuen Konsul einzuarbeiten. Dann kommt er nach. Er wollte es zwar nicht zugeben, aber auch ihn hat das Heimweh in der letzten Zeit arg geplagt.«
Alfons hatte Carla Tee eingegossen, und sie stellte sich mit dem Rücken vor das prasselnde Feuer. »Wenn ich aufgetaut bin, müsst ihr mir erzählen, wie es euch geht. Wo sind überhaupt mein Bruder und Feodora? Sie muss ja schon eine kleine Dame sein.«
Nataschas Miene versteinerte sich. »Leopold ist schon seit Tagen in Königsberg. Wahrscheinlich verspielt er endgültig unser letztes Geld.«
»Was sagst du da?« Ihre Schwägerin blickte sie entsetzt an.
»Weißt du das nicht? Wir sind ruiniert. Hat Fräulein von Pulkendorf dir das nicht geschrieben?«
»Nein, das habe ich nicht. Ich fand, das stünde mir nicht zu.« Hätte sie Carla schreiben sollen, dass ständig schwarz gekleidete Männer erschienen, die erst mit Leopold in der Bibliothek verschwanden und bald darauf mit einem Gemälde, einem wertvollen Teppich oder einer Uhr in ihrer Kutsche wieder abfuhren? »Elfriede wollte Sie nicht beunruhigen, Carla.«
Carla war in einen Sessel gesunken. Die Teetasse zitterte in ihren Händen. »Das ist ja schrecklich. Ich hatte keine Ahnung«, flüsterte sie. »Wie konnte das nur passieren?«
»Wenn es Ihnen recht ist, werde ich jetzt Feodora holen. Sie ist auf ihrem Zimmer. Sie wollen sie doch sicher sehen?«
»Ja, ja, natürlich. Ich kenne sie ja nur als ganz kleines Kind.«
Nachdem Carla Feodora begrüßt hatte, war sie zu Elfriede in die Küche gegangen. Die fiel ihr weinend um den Hals. »Carlachen, wo kommst du denn her?«, rief sie. »Dat ik dat noch erleben darf!«
Dort lernte Carla auch gleich Irma kennen.
»Irmchen, komm her. Dat is die Baronin von Harvich, die Schwester von unserm Jrafen.«
Irma machte artig einen Knicks.
»Von dir habe ich schon gehört. Du sollst so fleißig sein, hat mir das Fräulein von Pulkendorf geschrieben.«
Irma lief rot an.
»Musst dir jar nich schenieren, Irmchen«, sagte Elfriede. »Is ja wahr. Ohne dir würd ik dat hier jar nich mehr schaffen.« Besorgt sah sie Carla an. »Hast sicher schon jehört, wat hier los is.«
»Gib mir einen Schnaps, Elfriede.« Carla seufzte. »Meine Wiedersehensfreude ist reichlich getrübt. Ich hatte ja von nichts eine Ahnung. Warum habt ihr mir denn gar nichts davon geschrieben?«
»Hätte es denn wat jenützt? Nee! Und ändern hättest du ooch nischt nich können.«
Nach und nach erfuhr Carla das ganze Ausmaß der Katastrophe. Das erste Mal in ihrem Leben war sie wütend auf ihren Bruder.
»Wie soll es denn hier bloß weitergehen?«, fragte sie ihn, als er ein paar Tage später aus Königsberg zurückkam, wie üblich in einem desolaten Zustand.
»Ich weiß es nicht, Carla.« Zusammengesunken, in den zitternden Händen ein volles Glas Cognac, saß er ihr im kleinen Salon gegenüber. »Du siehst ja, wie es hier aussieht. Es gibt nicht mehr viel zu verkaufen, ich bin hoch verschuldet.«
»Mein Gott, Leopold, wie konnte es nur so weit kommen. Und was ist mit Feodoras Mitgift?«
»Mitgift … du bist gut. Es ist nichts mehr da, gar nichts.« Er nahm einen großen Schluck aus seinem Glas. »Bis zu Rüdigers Tod waren wir glücklich. Ja, du wirst es nicht glauben, sogar Natascha hatte sich sehr verändert. Aber dann …« Er blickte Carla mit todtraurigen Augen an. »Ich fand nur noch Trost im Alkohol …«
»… und im Spiel, ich weiß«, fiel Carla ihm ins Wort. »Aber wie konntest du Troyenfeld so verkommen lassen und vergessen, dass du eine Tochter hast. Wie willst du sie verheiraten, ohne Mitgift – außer einem verrotteten Schloss?« Ihre Stimme bebte vor Empörung. »Mein Gott, hätte ich das nur gewusst! Ich wäre viel früher nach Hause gekommen.«
»Ich sollte mich erschießen«, flüsterte Leopold.
»Und wozu soll das gut sein?«, schrie Carla aufgebracht. »Sich einfach davonzustehlen ist ja wohl der Gipfel der Verantwortungslosigkeit!«
»Ich schäme mich so.« Leopold schlug die Hände vors Gesicht. »Die Gläubiger sitzen mir im Nacken, Fräulein von Pulkendorf hat schon seit Monaten kein Gehalt mehr
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