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Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)

Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)

Titel: Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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Boden schlafen«, sagte Irma schnell. »Dat macht mir nuscht nix aus, wirklich.«
    »Sehen Sie, Frau Steinle«, sagte Feodora altklug, »das wäre ja wohl geklärt.« Sie nahm ein rosafarbenes Musselinkleid aus dem Schrank. »Kannst du mir bitte hinten die Knöpfe schließen, Irma?«, sagte sie, ohne weiter auf die Hausdame zu achten.
    »Ich hoffe, du machst deine Sache gut«, wandte sich Frau Steinle an Irma und verließ den Raum.
    »Wie alt bist du?«, fragte Feodora.
    »Fast vierzehn, jnädijes Frollein Komtesschen.«
    »Ich bin fast zwölf«, flunkerte Feodora. »Aber für vierzehn bist du ziemlich klein.«
    »Zu Hause sind man alle nich so jroß.«
    »Wer sind alle. Wie viele seid ihr denn?«
    »Na nu, Muttche und Vatche und dreizehn Kinderchens, mit mir.«
    »Was, dreizehn?!« Feodora blieb vor Staunen der Mund offenstehen. Eine Familie mit so vielen Kindern, das musste ja lustig sein. »Ich hatte nur einen Bruder. Er ist gestorben, an Scharlach. Seitdem bin ich ganz allein.« Beinahe hätte sie auch von Else erzählt, aber Irma rief mitleidig: »Ach Jottchen, dat is aber firchterlich traurig.«
    »Ja sehr, ich habe ihn schrecklich lieb gehabt. Er hieß Rüdiger und ist nur sieben Jahre alt geworden.« Sie machte eine Pause. »Wieso bist du nicht zu Hause geblieben?«
    Irma verlor langsam ihre Scheu. »Wir sind zu ville zu Hause. Muttche hat mir wegjeschickt. Ik soll nun man selbst für mir sorgen.«
    Jetzt war Feodora entsetzt. Es gab also noch mehr Mütter, die ihre Kinder nicht liebten. Ob ihre Mutter ihr das auch antun würde? Sie musste gelegentlich mit Julchen darüber sprechen.
    In dem Moment steckte Fräulein von Pulkendorf den Kopf zur Tür herein. »Feodora, wir warten mit dem Essen auf dich.«
    »Ich komme, Julchen.« In der Tür drehte sie sich noch einmal zu ihrem neuen Dienstmädchen um. »Bis nachher, Irma, du musst mir dann weitererzählen.«
    »Ihr scheint euch ja schon gut zu verstehen, Irma und du«, sagte die Gouvernante, als sie gemeinsam hinunter zum Speisesaal gingen.
    »Ja, sie ist nett, und stell dir vor, ihre Mutter hat sie von zu Hause weggeschickt, ist das nicht schrecklich?«
    »Ja, so etwas gibt es.« Die Gouvernante strich ihr zärtlich über das Haar. »Aber es wäre besser, wenn du bei Tisch nicht darüber sprechen würdest. Du weißt, deine Mutter interessiert sich nicht sonderlich für das Schlosspersonal.«
    Instinktiv hatte Feodora begriffen, dass sie über Irma besser nicht sprach, und das sollte auch so bleiben. Es dauerte Jahre, bis ihre Mutter erfuhr, dass es eine Irma im Schloss gab, die auch noch Vertraute ihrer Tochter war. Zum ersten Mal in ihrem Leben erfuhr Feodora, dass Kinder, kaum älter als sie, arbeiten mussten, weil es für sie zu Hause nicht genug zu essen gab. Seit ihrer Geburt war sie umgeben von Dienern, Lakaien und anderen dienstbaren Geistern – eine Selbstverständlichkeit, über die sie noch nie nachgedacht hatte. Erst durch Irma sollte sie erfahren, dass es auch ein anderes Leben gab.
     
    Feodoras Tage waren weiterhin streng reglementiert. Vormittags hatte sie drei Stunden Unterricht bei Fräulein von Pulkendorf, bei gutem Wetter ritt sie mit ihrem Vater oder dem Stallmeister aus; allein zu reiten, war ihr strengstens untersagt! Nach dem gemeinsamen Mittagessen mit ihren Eltern und der Gouvernante hielt sie eine Stunde Mittagsruhe, dann ging es weiter mit Klavier-, Zeichen- oder Sprachunterricht. Wann immer es ging, stahl sie sich zu Elfriede in die Küche, wo sie meistens Irma antraf, die sich dort nützlich machte, wenn bei Feodora nichts zu tun war. »Is en jutes Kind, dat Irmchen«, sagte Elfriede immer wieder zu Frau Steinle. »Se hilft mir, wo se kann, und für dat Komtesschen isse direkt ein Sejen.« Fräulein von Pulkendorf hatte ihr berichtet, dass Feodora keine Albträume mehr hatte, seit Irma bei ihr schlief, und ihre abendlichen Tabletts kamen neuerdings immer leer in die Küche zurück, was Elfriede große Freude bereitete.
    Außer bei besonderen Anlässen nahm Feodora ihr Abendessen allein auf ihrem Zimmer ein. Ein Dienstmädchen brachteihr dann ein von Elfriede liebevoll angerichtetes Tablett, was sie eine Stunde später fast unberührt wieder in die Küche trug.
    Als Irma Feodora am ersten Abend das Essen brachte, sagte diese: »Setz dich zu mir, Irma. Und bitte iss auch etwas. Allein schmeckt es mir nicht.«
    Irma ließ sich schüchtern auf der Stuhlkante nieder. »Ik weeß nich … jnädjes Frollein … Komtesschen.«
    »Also,

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