Solange am Himmel Sterne stehen
abgebrochen?«
Ich zucke die Schultern. »Das schien mir damals das Richtige zu sein.«
Gavin nickt und scheint eine Minute darüber nachzudenken. »Würdest du denn wieder damit anfangen?«, fragt er. »Willst du immer noch Anwältin werden?«
Ich denke darüber nach. »Ich komme mir wie eine völlige Versagerin vor, weil ich mein Studium abgebrochen habe«, sage ich schließlich. »Aber zugleich habe ich dieses seltsame Gefühl, dass ich vielleicht gar nicht Anwältin werden sollte. Vielleicht sollte ich die Bäckerei führen. Jetzt kann ich mir ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen, weißt du? Vor allem jetzt, da ich weiß, was sie für meine Familie bedeutet. Jetzt, da ich weiß, dass sie im Grunde alles ist, was meine Großmutter aus ihrer Vergangenheit mitgebracht hat.«
»Weißt du, ich glaube nicht, dass du die Bäckerei verlieren wirst«, sagt Gavin einen Augenblick später.
»Warum sagst du das?«, frage ich.
»Weil ich glaube, dass sich im Leben immer dann etwas ergibt, wenn man es am dringendsten braucht.«
Ich sehe ihn an. »Das ist alles? Das Leben läuft letztendlich so, wie es soll?«
Gavin lacht. »Okay, na gut, ich klinge wie eine Hallmark-Grußkarte.«
Ich schweige einen Augenblick. »Annie denkt, du bist so eine Art Problemlöser für andere Leute«, sage ich leise.
Er lacht wieder. »Ach ja?«
Ich sehe ihn von der Seite an. »Weißt du, du musst nicht meine Probleme lösen. Oder mich retten. Oder was auch immer.«
Er sieht mich kopfschüttelnd an. »Ich glaube, dafür brauchst du mich auch gar nicht, Hope«, sagt er. »Ich glaube, du unterschätzt deine Fähigkeit, dich selbst zu retten.«
Seine Worte berühren mich tief, und ich starre aus dem Fenster, damit er meine plötzlichen, unerwarteten Tränen nicht sehen kann. Vielleicht ist es genau das, was ich die ganze Zeit gebraucht habe. Nicht Matts Geld oder seine Investoren. Nicht jemanden, der mich rettet. Nur jemanden, der glaubt, dass ich es allein schaffen kann.
»Danke«, flüstere ich so leise, dass ich mir nicht sicher bin, ob Gavin mich überhaupt hört.
Aber das tut er. Ich spüre seine Hand auf meiner Schulter, und als ich mich zu ihm umwende, drückt er sie einmal leicht und legt die Hand dann wieder aufs Lenkrad. Meine Haut kribbelt an der Stelle, an der er sie berührt hat.
»Es wird alles gut werden, weißt du«, sagt er.
»Ich weiß«, sage ich. Und zum ersten Mal glaube ich es wirklich.
24
Wir halten bei einer Ausfahrt der I-95 in Connecticut, um zu tanken, uns ein Frühstück zu holen und auf die Toilette zu gehen. Als ich aus dem McDonald’s komme, zwei Becher Kaffee und zwei Orangensäfte auf einem Tablett und eine Tüte mit einer Auswahl McMuffins balancierend, bemerke ich auf der anderen Straßenseite im trüben Morgenlicht ein Schild. In großen Druckbuchstaben wird darauf ein Bibelkurs mit dem Titel »Dem Stammbaum des Alten Testaments auf der Spur« angeboten. Ich will den Blick schon abwenden, als mir ein vertrauter Name ins Auge springt, und auf einmal geht mir ein Licht auf. Mir bleibt der Mund offen stehen.
»Was starrst du denn da an?«, fragt Gavin. Er schraubt den Tankdeckel wieder zu und kommt zu mir herüber. Er nimmt mir die McDonald’s-Getränke und die Tüte ab und stellt sie auf dem Autodach ab. »Du siehst ja aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
»›Dem Stammbaum des Alten Testaments auf der Spur‹«, liest er laut. »›Von Abraham über Jakob zu Joseph und darüber hinaus.‹« Er schweigt kurz. »Okay. Und weiter?«
»Joseph war in der Bibel doch der Sohn Jakobs, oder?«, frage ich.
Gavin nickt. »Ja. In der Thora übrigens auch. Und im Koran, glaube ich. Ich glaube, das ganze Zeug, das im Alten Testament auf Abraham zurückgeht, ist allen drei Religionen gemeinsam.«
»Die drei abrahamischen Religionen«, murmele ich. Auf einmal muss ich an Elidas Worte denken. »Islam, Judentum und Christentum.«
»Richtig«, sagt Gavin. Er sieht noch einmal auf das Schild und dann zu mir herunter. »Was ist denn, Hope? Warum blickst du auf einmal so entgeistert?«
»Der Name meiner Mom war Josephine«, sage ich leise. »Kann das nur ein Zufall sein? Dass sie nach dem Sohn Jakobs benannt ist?«
Allmählich dämmert es Gavin. »In den Geschichten war Joseph derjenige, der das Vermächtnis seiner Eltern fortführen sollte. Aus diesem Grund musste er beschützt werden.« Er hält einen Moment inne. »Willst du damit sagen, du glaubst, deine Mom könnte doch Jacobs Tochter
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