Solange am Himmel Sterne stehen
mir gedacht, wie groß die Welt dort draußen hinter der Ostküste doch ist. Ich dachte immer an all die Möglichkeiten, die ich hätte, all die Dinge, die ich mit meinem Leben anfangen könnte.« Ich breche ab und sehe zu Boden.
»Das klingt nett«, sagt Gavin leise.
Ich schüttele den Kopf. »Ich war ein dummes Mädchen«, murmele ich kurz darauf. »Offenbar ist das Leben nicht so toll, wie ich dachte, dass es sein könnte.«
Gavin bleibt stehen und legt mir eine Hand auf den Arm, sodass ich ebenfalls anhalte. »Was meinst du damit?«
Ich sehe mich um. Ich komme mir idiotisch vor, mitten auf einem Gehsteig in Manhattan zu stehen, während Gavin mich so gebannt ansieht. Aber er starrt zu mir herunter und wartet auf eine Antwort, sodass ich schließlich zu ihm hochsehe und seinen Blick erwidere. »Das hier ist nicht das Leben, das ich mir vorgestellt habe.«
Gavin schüttelt den Kopf. »Hope, das ist es nie. Das weißt du doch, oder? Das Leben läuft nie so, wie wir es planen.«
Ich seufze. Ich erwarte nicht, dass er es versteht. »Gavin, ich bin sechsunddreißig, und nichts von dem, was ich im Leben wollte, ist wirklich eingetreten«, versuche ich es ihm zu erklären. »An manchen Tagen wache ich auf und denke mir: Wie bin ich eigentlich an diesen Punkt gekommen? Es ist, als würdest du eines Tages einfach begreifen, dass du nicht mehr jung bist und deine Entscheidungen schon getroffen hast, und dass es jetzt zu spät ist, um noch irgendetwas zu ändern.«
»Es ist nicht zu spät«, sagt Gavin. »Niemals. Aber ich weiß, was du damit meinst, dass man sich so fühlt.«
»Woher willst du das denn wissen?« Mein Tonfall ist schärfer als beabsichtigt. »Du bist neunundzwanzig.«
Er lacht. »Es gibt kein magisches Alter, in dem sich deine ganzen Optionen verschließen, Hope«, sagt er. »Du hast genauso viele Chancen, dein Leben zu verändern, wie ich. Ich will nur sagen, dass bei niemandem das Leben genau so läuft, wie er es erwartet. Aber wie du damit umgehst, das entscheidet darüber, ob du glücklich bist oder nicht.«
»Aber du bist glücklich«, sage ich, und mir wird bewusst, dass es eher wie ein Vorwurf als wie eine Feststellung klingt. »Ich meine, du hast offenbar alles, was du willst.«
Er lacht wieder. »Hope, glaubst du wirklich, ich habe als Kind dagesessen und davon geträumt, ein Handwerker zu sein?«
»Ich weiß nicht«, murmele ich. »Hast du?«
»Nein! Ich wollte Künstler werden. Ich war das dümmste Kind auf der Welt; ich habe meine Mom immer angebettelt, mit mir zum Museum der Schönen Künste nach Boston zu fahren, damit ich mir die Gemälde ansehen konnte. Ich habe ihr immer gesagt, ich würde später nach Frankreich gehen und ein Maler wie Degas oder Monet werden. Das waren meine Lieblingsmaler.«
»Du wolltest Künstler werden?«, frage ich ungläubig. Wir gehen weiter zu der Adresse, die wir für Jacob Levy haben.
Gavin gluckst und sieht zu mir herunter. »Ich habe sogar versucht, auf die SMFA zu kommen.«
» SMFA ?«
»Ah, ich sehe, du bist kein großer Kunstfan.« Gavin zwinkert mir zu. »Die Schule des Museums der Schönen Künste in Boston.« Er hält einen Moment inne und zuckt die Schultern. »Ich hatte die Noten, ich hatte die Mappe, aber ich habe mich nicht für genügend Stipendien qualifiziert, um es mir leisten zu können. Meine Mom konnte mich nicht unterstützen, und ich wollte nicht haufenweise Darlehen aufnehmen und bis an mein Lebensende verschuldet sein. Und so bin ich jetzt hier.«
»Das heißt, du bist einfach nicht aufs College gegangen?«
Gavin lacht. »Ich bin mit einem Stipendium auf die Salem State University gegangen. Ich habe Erziehungswissenschaften studiert, da ich dachte, wenn ich schon kein Künstler werden könnte, dann würde ich eben Kunstlehrer werden.«
»Du warst Kunstlehrer?«, frage ich. Gavin nickt, und ich frage nach: »Aber was ist passiert? Warum bist du jetzt keiner mehr?« Ich beiße mir auf die Zunge, bevor mir irgendetwas in der Richtung herausrutschen kann, dass er »nur« ein Handwerker ist.
Er zuckt mit den Schultern. »Es hat mich nicht glücklich gemacht. Nicht so, wie wenn ich mit meinen Händen arbeite. Mir wurde klar, dass ich, wenn ich schon kein Künstler im herkömmlichen Sinn sein konnte – und seien wir ehrlich, College hin und her, ich bin kein Michelangelo –, in gewisser Weise Kunst schaffen könnte, indem ich Dinge für andere Leute mache. Und genau das tue ich jetzt.«
»Aber du reparierst Rohre und so«,
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