Solange am Himmel Sterne stehen
als mein Handy klingelt. Auf dem Display sehe ich Annies Handynummer, die eine, die sie nur in Notfällen benutzen soll, auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass Rob sie damit nach Herzenslust mit ihren Freundinnen telefonieren und SMS -Nachrichten schreiben lässt. So machen coole Eltern das eben. Irgendetwas in meinem Magen verkrampft sich.
»Warum bist du nicht im Laden?«, fragt Annie, als ich abnehme. »Ich habe zuerst dort angerufen.«
»Ich musste …« Ich suche nach einer Erklärung, die nichts mit ihrem Vater zu tun hat. »… ein paar Besorgungen machen.«
»Um vier Uhr an einem Donnerstag?«, fragt sie. Die Wahrheit ist: Das Geschäft in der Bäckerei ging den ganzen Tag schleppend, und ich hatte seit ein Uhr keinen Kunden, sodass ich jede Menge Zeit hatte, um über Rob, Annie und das ganze Leid nachzugrübeln, das angerichtet wurde, während ich nichts dagegen unternahm und stattdessen bis zur Bewusstlosigkeit vor mich hin backte. Ich wusste, dass Annie vorhatte, nach der Schule Mamie zu besuchen, was hieß, dass ich Rob allein abpassen würde.
»Es war nicht viel los«, sage ich nur.
»Na ja, egal«, sagt sie, und mir wird klar, dass sie irgendetwas will. Ich mache mich auf eine absurde Bitte gefasst – Geld, Konzertkarten, vielleicht die neuen Zehn-Zentimeter-Stöckelschuhe, auf die ich sie gestern Abend in meiner InStyle -Ausgabe habe starren sehen –, aber stattdessen klingt sie fast schüchtern, als sie fragt: »Kannst du, na ja, zu Mamie kommen?«
»Ist alles okay?«, frage ich prompt.
»Ja«, sagt sie. Sie dämpft die Stimme. »Ehrlich gesagt, ist es richtig seltsam, aber Mamie benimmt sich heute ganz normal.«
»Normal?«
»Ja«, flüstert sie. »So, wie sie war, bevor Oma gestorben ist. Sie benimmt sich, als hätte sie ihr Gedächtnis nicht verloren.«
Mein Herz macht einen kleinen Satz, und ich muss daran denken, was die Schwester bei meinem letzten Besuch auf dem Weg nach draußen zu mir gesagt hat. Es wird Zeiten geben, zu denen sie bei völlig klarem Verstand ist. Dann wird sie sich an alles erinnern, und sie wird genauso klar im Kopf sein wie Sie oder ich. Das sind die Tage, an denen Sie festhalten müssen, denn es gibt keine Garantie, dass es noch mehr davon geben wird .
»Bist du sicher?«, frage ich.
»Ganz sicher«, sagt Annie, und ich bemerke nichts von dem Sarkasmus oder der Wut, die ich in letzter Zeit so oft bei ihr gehört habe. Auf einmal frage ich mich, ob ihr Verhaltensproblem zum Teil vielleicht daher rührt, dass es sie verletzt, dass ihre Urgroßmutter sie vergisst. Ich nehme mir vor, ein ernsthaftes Gespräch über Alzheimer mit ihr zu führen. Andererseits heißt das, dass ich mich selbst damit auseinandersetzen muss.
»Sie hat mich, na ja, nach der Schule und so gefragt«, fährt Annie fort. »Es ist seltsam, aber sie weiß genau, wer ich bin und wie alt ich bin und alles.«
»Okay.« Ich sehe bereits in den Rückspiegel, um mich zu vergewissern, dass ich gefahrlos wenden kann. »Ich bin schon unterwegs.«
»Sie sagt, du sollst ihr eines von den Sterntörtchen aus der Bäckerei mitbringen«, fügt Annie hinzu.
Das war immer Mamies Lieblingsgebäck; gefüllt mit einer Mischung aus Mohn, Mandeln, Trauben, Feigen, Dörrpflaumen und Zimtzucker und mit einer buttrigen, sternförmigen Gitterkruste obenauf, sind sie unsere Spezialität des Hauses. »Okay«, sage ich, »ich komme, so schnell ich kann.« Und zum ersten Mal seit einer ganzen Weile verspüre ich einen Anflug von Hoffnung. Bis zu diesem Augenblick war mir gar nicht bewusst, wie sehr ich meine Großmutter vermisst habe.
»Ich würde gern an den Strand gehen«, ist das Erste, was Mamie zu mir sagt, als sie eine Viertelstunde später die Tür öffnet.
Im ersten Moment sinkt meine Stimmung. Es ist Ende September, und Kälte liegt in der Luft. Die Wolke über ihrem Gedächtnis muss wieder da sein, denn es ergibt keinen Sinn, dass meine sechsundachtzigjährige Großmutter auf einmal aus dem Haus gehen und sonnenbaden will. Aber dann lächelt sie mich an und zieht mich zu einer Umarmung an sich. »Entschuldige«, sagt sie. »Wo sind meine Manieren? Schön, dich zu sehen, Hope, Liebes.«
»Du weißt, wer ich bin?«, frage ich zögernd.
»Aber ja, natürlich weiß ich das.« Sie blickt beleidigt. »Sag bloß nicht, du hältst mich für alt und senil.«
»Äh …« Ich versuche Zeit zu gewinnen. »Natürlich nicht, Mamie.«
Sie lächelt. »Keine Sorge, ich bin nicht auf den Kopf gefallen. Ich weiß
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