Solange am Himmel Sterne stehen
desto verwirrender wird es. Je öfter wir verletzt wurden, desto schwieriger wird es, die Liebe genau vor unseren Augen zu sehen oder die Liebe in unser Herz zu lassen und wirklich an sie zu glauben. Und wenn du die Liebe nicht in dein Herz lassen oder dich nicht dazu durchringen kannst, an sie zu glauben, dann kannst du sie auch nie wirklich fühlen.«
Annie blickt verwirrt. »Das heißt, du meinst, Mamie und Jacob haben sich ineinander verliebt, weil sie jung waren?«
»Nein, ich glaube, deine Urgroßmutter und Jacob haben sich verliebt, weil sie füreinander bestimmt waren«, erwidert Alain. »Und weil sie nicht davor weggelaufen sind. Sie hatten keine Angst davor. Sie haben nicht zugelassen, dass ihre eigenen Ängste ihnen dabei in die Quere kamen. Viele Leute auf dieser Welt verlieben sich nie auf diese Weise, da ihre Herzen bereits verschlossen sind und sie es nicht einmal wissen.«
Ich schiebe ein Blech mit Sterntörtchen in den kleineren Ofen links, und ich zucke zusammen, als ich aus Unachtsamkeit meine Hand an der Ofentür anstoße. Ich fluche leise und stelle die Zeitschaltuhr ein.
»Mom?«, fragt Annie. »Hast du Dad auf diese Weise geliebt?«
»Na klar«, sage ich rasch, ohne sie anzusehen. Ich will ihr nicht sagen, dass ich ihren Vater, wenn ich nicht mit ihr schwanger gewesen wäre, niemals geheiratet hätte. Es war keine Liebe zu ihm, die mich veranlasste, eine Familie zu gründen; es war Liebe zu dem Leben, das in mir heranwuchs.
Aber was hatte Mamie gedacht, als sie meinen Großvater kennenlernte? Offenbar hatte sie geglaubt, sie hätte Jacob bereits verloren, und irgendwann musste sie auch das Kind verloren haben, das sie erwartete. Ihr Leben muss sich entsetzlich leer angefühlt haben. Hatte die Einsamkeit sie in die Arme meines Großvaters getrieben? Wie hatte sie jede Nacht neben ihm liegen können, während sie wusste, dass sie die große Liebe ihres Lebens bereits gefunden – und verloren – hatte?
»Und wieso habt ihr euch dann scheiden lassen?«, fragt Annie. »Wenn du Dad so geliebt hast?«
»Manchmal ändern sich die Dinge eben«, sage ich.
»Nicht bei Mamie und Jacob«, sagt Annie überzeugt. »Ich möchte wetten, sie haben sich immer geliebt. Ich möchte wetten, sie lieben sich noch immer.«
In diesem Augenblick überkommt mich eine entsetzliche Traurigkeit um meines Großvaters willen, eines freundlichen, warmherzigen Mannes, der voller Fürsorge für seine Familie war. Ich frage mich, ob ihm je bewusst war, dass seine Frau ihr Herz offenbar längst verschenkt hatte, bevor sie ihn kennenlernte.
Als ich aufblicke, sehe ich, dass Alain mich nachdenklich ansieht. »Es ist nie zu spät, um wahre Liebe zu finden«, sagt er. »Du musst dir nur ein offenes Herz bewahren.«
»Na ja«, sage ich, »manche von uns haben eben einfach nicht so viel Glück.«
Alain nickt langsam. »Oder manchmal haben wir so viel Glück, aber wir haben zu viel Angst davor, es zu sehen.«
Ich verdrehe die Augen. »O ja, die Männer rennen mir förmlich die Türen ein, um mir einen Antrag zu machen.«
Annie sieht erst mich und dann Alain an. »Sie hat recht. Niemand bittet sie um ein Date. Außer Matt Hines, aber der ist, na ja, seltsam.«
Ich kann spüren, wie ich erröte, und ich räuspere mich. »Okay, Annie«, sage ich schroff, »an die Arbeit. Du musst den Strudel vorbereiten, okay?«
»Egal«, murmelt sie.
Die Eröffnung der Bäckerei heute Morgen läuft besser, als ich erwartet hatte. Mit Alains Hilfe sind wir um sechs für Kundschaft bereit. Gavin kommt um etwa zwanzig vor sieben, aber im Laden ist viel los, sodass wir kaum Gelegenheit zum Reden haben, während ich ihm seinen Kaffee reiche, mich noch einmal für seine Hilfe bedanke und ihm einen schönen Tag mit seinem Job bei Joe Sullivan wünsche.
Alain bleibt bei mir, als Annie zur Schule aufbricht, und nachdem der morgendliche Ansturm vorbei ist und ich ungefähr ein Dutzend neugieriger Fragen dazu, wo ich denn die letzten drei Tage gesteckt hätte, knapp beantwortet habe, sind wir allein in der Bäckerei.
»Puh!«, ruft Alain. »Du bist ja gut im Geschäft, Liebes.«
Ich zucke mit den Schultern. »Es könnte besser sein.«
»Vielleicht«, sagt Alain. »Aber ich finde, du solltest dankbar sein für das, was du hast.«
Was ich habe , das ist ein wachsender Schuldenberg und eine Hypothek, die mir bald unter den Füßen weggezogen wird, sodass ich ohne Geschäft dastehen werde. Aber ich sage Alain nichts davon; es gibt keinen Grund,
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