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Solange am Himmel Sterne stehen

Solange am Himmel Sterne stehen

Titel: Solange am Himmel Sterne stehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Harmel
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ihn mit meinen Problemen zu behelligen. Ich nehme an, verglichen mit den Sorgen, die er im Laufe seines Lebens hatte, sind sie ohnehin verschwindend gering. Ich komme mir vor, als stimme irgendetwas mit mir einfach nicht, wenn ich mich von solchen Kleinigkeiten so leicht aus der Bahn werfen lasse.
    Der Tag vergeht wie im Flug, und Annie kommt nach der Schule mit einem dicken Stapel Papiere in der Hand wieder.
    »Wann fahren wir Mamie besuchen?«, fragt sie, während sie Alain zur Begrüßung umarmt.
    »Sobald wir hier schließen«, sage ich zu ihr. »Warum fängst du hinten nicht schon mal mit dem Abwasch an? Dann können wir heute vielleicht ein bisschen früher zumachen.«
    Annie runzelt die Stirn. »Kannst du nicht den Abwasch machen? Ich muss ein paar Telefonate führen.«
    Ich höre auf, Baklava aus der Vitrine zu nehmen, und sehe Annie stirnrunzelnd an. »Telefonate?«
    Annie reißt den Stapel mit Papieren hoch, den sie umklammert hält, und verdreht die Augen. »Mit Jacob Levy. Trara.«
    Meine Augen weiten sich. »Du hast Jacob Levy gefunden?«
    »Ja«, sagt Annie. Sie senkt den Blick. »Na ja, okay, ich habe einen ganzen Haufen Leute gefunden, die Jacob Levy heißen. Und da sind noch gar nicht die dabei, die als J. Levy verzeichnet sind. Aber ich werde sie alle anrufen, bis wir den Richtigen gefunden haben.«
    Ich seufze. »Annie, Schatz …«, beginne ich.
    »Hör auf, Mom!«, faucht sie mich an. »Sei nicht so negativ. Du bist immer so negativ! Ich werde ihn finden. Und du kannst mich nicht davon abhalten.«
    Ich öffne und schließe hilflos den Mund. Ich hoffe ja, dass sie recht hat, aber es sieht so aus, als hätte sie hunderte von Telefonnummern vor sich. Das ist kein Wunder; ich bin sicher, Jacob Levy ist ein sehr häufiger Name.
    »Also? Kann ich das Telefon hinten benutzen?«
    Ich überlege kurz und nicke. »Ja. Solange es alles Nummern in den USA sind.«
    Annie grinst und verschwindet in die Backstube.
    Alain lächelt mich an und steht auf, um ihr zu folgen. »Ich vermisse es, jung und hoffnungsvoll zu sein«, sagt er. »Du nicht?«
    Er verschwindet hinter meiner Tochter in die Backstube, und ich stehe da und fühle mich wie Ebenezer Scrooge. Wann habe ich eigentlich aufgehört, jung und hoffnungsvoll zu sein? Ich wollte Annie keinen Dämpfer versetzen; ich wollte nur nicht, dass sie ihre Erwartungen allzu hoch schraubt. Gutes zu erwarten führt nur dazu, dass man verletzt wird, habe ich festgestellt.
    Ich seufze und packe weiter Backwaren in luftdichte Behälter, um sie über Nacht einzufrieren. Die Baklava, die ich heute Vormittag gebacken habe, wird sich noch ein paar Tage halten; die Muffins und Kekse werde ich einfrieren, und mindestens einen der Strudel sollte ich morgen früh recyceln können. Unsere hausgemachten Donuts halten sich nur einen Tag frisch, weshalb ich im Allgemeinen jeden Morgen nur eine Sorte backe; die Zimtzucker-Donuts von heute sind fast ausverkauft, und die restlichen drei werden vermutlich in meinem täglichen Abholkorb für das Frauenhaus landen, falls in den nächsten paar Minuten nicht noch ein Kunde hereinschneit.
    Nebenan kann ich Annie am Telefon plappern hören; vermutlich fragt sie einen nach dem anderen auf ihrer Liste, ob irgendjemand einen Jacob Levy kennt, der nach dem Zweiten Weltkrieg aus Frankreich hierhergekommen ist. Zwischen den Telefonaten kann ich Alain murmeln hören, und ich frage mich, was er zu ihr sagt. Erzählt er ihr Geschichten von Jacob, um sie bei der Stange zu halten? Oder ist er so verantwortungsbewusst, ihr in Erinnerung zu rufen, dass diese Aufgabe zu bewältigen schier unmöglich sein könnte und sie ihre Hoffnungen nicht zu hoch hängen sollte?
    Ich räume die Bäckereivitrinen fertig aus und trage das Gebäck nach hinten zu dem großen Gefrierschrank. Dann mache ich mich an die Arbeit, die Backbleche und die Muffin- und Törtchenformen abzuspülen, während Annie lauter spricht, um sich über das laufende Wasser hinweg Gehör zu verschaffen.
    »Hi, mein Name ist Annie Smith«, höre ich sie ins Telefon trällern. »Ich bin auf der Suche nach einem Jacob Levy, der jetzt so siebenundachtzig sein müsste. Er ist Franzose. Gibt es bei Ihnen einen solchen Jacob Levy? … Oh, okay. Trotzdem vielen Dank. Ja, Wiederhören.«
    Sie legt auf, und Alain murmelt ihr irgendetwas zu. Sie kichert, greift zum Hörer und wiederholt genau dieselben Worte bei ihrem nächsten Anruf.
    Bis ich so weit bin, die Bäckerei zuzusperren und zum Krankenhaus zu

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