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Solange am Himmel Sterne stehen

Solange am Himmel Sterne stehen

Titel: Solange am Himmel Sterne stehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Harmel
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Familie wieder zusammenzuführen.« Er blinzelt ein paarmal, bevor er Gavin fragt: »Können wir sie jetzt sehen? Meine Schwester?«
    Gavin zögert. »Streng genommen ist die Besuchszeit jetzt vorbei. Aber ich kenne ein paar Schwestern hier. Ich werde sehen, was ich tun kann.«
    Ich beobachte, wie Gavin sich an eine hübsche blonde Krankenschwester wendet, die etwa Anfang zwanzig sein muss. Sie lacht und spielt mit ihrem Haar, während sie mit ihm redet. Ich wundere mich, dass es mir einen eifersüchtigen Stich versetzt, die beiden so zusammen zu sehen. Ich blinzele ein paarmal, wende mich ab und lege Alain eine Hand auf den Arm.
    »Geht es dir gut?«, frage ich. »Du musst doch erschöpft sein.«
    Er nickt. »Ich muss nur Rose sehen.«
    Annie beginnt ihn mit einer wahren Flut von Fragen zu bestürmen – »Wann hast du Mamie das letzte Mal gesehen?«, »Wieso hast du gedacht, sie wäre gestorben?«, »Wie bist du diesen Nazis entkommen?«, »Was ist mit euren Eltern passiert?« –, die Alain geduldig beantwortet. Als Annie ihren Kopf zu seinem vorbeugt und weiter aufgeregt plappert, muss ich lächeln.
    Einen Augenblick später kommt Gavin wieder und legt mir eine Hand auf den Arm, und dabei schießt irgendein seltsames Gefühl durch mich hindurch. Ich zucke rasch zurück, als hätte ich mich verbrannt.
    Gavin runzelt die Stirn und räuspert sich. »Ich habe mit Krista gesprochen. Der Krankenschwester. Sie sagt, sie kann uns noch einmal einschleusen. Aber nur für ein paar Minuten. Sie sind hier ziemlich streng, was die Besuchszeiten betrifft.«
    Ich nicke. »Danke.« Seltsamerweise kann ich es nicht über mich bringen, mich auch bei Krista zu bedanken, während sie uns vier einen schmalen Flur entlangführt. Ihr blonder Pferdeschwanz wippt kess hinter ihr, während sie übertrieben mit ihren schmalen Hüften wackelt. Ich könnte schwören, dass sie wegen Gavin so geht, aber er scheint es gar nicht zu bemerken; er hat eine Hand auf Alains Schulter gelegt und führt den alten Herrn sanft zu einer Tür am Ende des Flurs.
    »Fünf Minuten«, flüstert Krista, als wir vor der letzten Tür rechts stehen bleiben. »Sonst bekomme ich Ärger.«
    »Vielen Dank«, sagt Gavin. »Ich bin Ihnen was schuldig.«
    »Sie können mich ja mal zum Essen einladen?« Ihr Tonfall steigt zum Satzende hin an, wie bei einer Frage, und als sie die Augen zu ihm aufschlägt, erinnert sie mich an eine Comicfigur. Ich warte nicht ab, um seine Antwort zu hören; ich sage mir, dass es nicht wichtig ist. Ich folge Annie und Alain ins Zimmer, und mir stockt der Atem beim Anblick der reglosen Gestalt, die in dem Krankenhausbett liegt, wie verschluckt von einem Berg von Decken.
    Mamie sieht winzig, blass und eingefallen aus, und ich kann spüren, wie Alain neben mir zusammenzuckt. Ich will ihm sagen, dass sie, als ich sie das letzte Mal gesehen habe, nicht so ausgesehen hat. Tatsächlich erkenne ich sie kaum wieder ohne ihren typischen burgunderroten Lippenstift und den Kajal. Aber ich bin ebenso sprachlos wie er. Wir treten beide näher, gefolgt von Annie.
    »Sie sieht richtig schlimm aus, stimmt’s?«, murmelt Annie. Ich drehe mich um und lege einen Arm um sie, und sie zieht sich nicht zurück. Ich lege meine rechte Hand auf Mamies linke, die sich kalt anfühlt. Mamie rührt sich nicht.
    »Offenbar haben sie sie über ihrem Schreibtisch zusammengesackt gefunden, nachdem sie nicht zum Abendessen heruntergekommen ist«, sagt Gavin leise. Als ich mich umdrehe, sehe ich ihn im Türrahmen stehen. »Sie haben sofort den Notruf verständigt«, fügt er hinzu.
    Ich nicke nur; meine Stimme ist zu erstickt, um zu sprechen. Neben mir kann ich spüren, wie Annie leicht zittert, und als ich hinuntersehe, bemerke ich, dass sie Tränen wegblinzelt. Ich drücke sie fester an mich, und sie schlingt beide Arme um mich. Wir sehen zu, wie Alain an Mamies Bett tritt und sich hinkniet, sodass sein Gesicht auf einer Höhe mit ihrem ist. Er murmelt ihr etwas zu, dann streckt er eine Hand aus und berührt sanft ihr Gesicht. Tränen glitzern in seinen Augen.
    »Ich dachte, ich würde sie niemals wiedersehen«, flüstert er. »Es ist fast siebzig Jahre her.«
    »Wird alles wieder gut mit ihr werden?«, fragt Annie Alain. Sie starrt ihn an, als ob von seiner Antwort alles abhängt.
    Alain nickt zögernd. »Annie, ich weiß es nicht. Aber ich kann nicht glauben, dass Gott uns wieder zueinander führen würde, nur um sie mir dann ohne einen Abschied zu nehmen. Ich muss glauben,

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