Solange, bis ich dich finde: Roman (German Edition)
heute hinter mir lassen. Immerhin, ich habe es auch verdient, nachdem ich die letzten Wochen viele Nächte durchgemacht und mit einigen Investoren aus China korrespondiert habe, um die Strategiepläne ständig zu überarbeiten.
Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Viel zu selten erlebe ich das. Es ist 13:34 Uhr. Ich überlege mir, einen kleinen Spaziergang zu machen und später Sarah zu überraschen. Immerhin wird es heute Abend spät, bis wir uns sehen. Kurzerhand gehe ich quer durch die Innenstadt, an den See. Wie lange haben wir schon Frühling? Nichts habe ich mitbekommen. Der Duft des Sees ist einfach traumhaft und unweigerlich denke ich an das Gemälde von vorhin – von Venedig. Ich genieße die Brise Wind, die an mir vorbeirauscht, und das Quaken der Enten. Wie lange schon ist es her, dass ich das Rascheln der Blätter in den Bäumen wahrgenommen habe? Jetzt bemerke ich auch das Kinderlachen, nicht weit von mir. Vergnügt spielen Kinder und genießen ihr Eis. Apropos Eis: dieses Vergnügen möchte ich mir auch gönnen. „Zweimal Vanille und einmal Zitrone bitte.“ Ich mache es mir auf einer Parkbank gemütlich und lasse die Zeit einfach an mir vorbeistreichen. Während ich die Reste von meiner Waffel an die Enten verteile, höre ich einen Zug mit einem donnernden Geräusch am Bahnhof, nicht weit von hier, zum Stillstand kommen. Gerade als ich gehen möchte, schleicht sich der Gedanke in mich hinein, nicht mit dem Auto zu fahren, sondern einfach in den Zug zu steigen. Dabei spüre ich wieder dieses seltsame Verlangen, einfach aufzubrechen, wie bei dem Gemälde vorhin, dem von Monet. Trotz dieses Drangs in mir mache ich mich auf und frage mich, was heute bloß mit mir los ist. Ich stelle mir vor, wie überrascht Sarah sein wird, wenn ich plötzlich vor ihr stehe. Es ist mal was Anderes, etwas Ungewohntes. Das tut uns beiden bestimmt gut. Mit meiner Aktentasche in der Hand öffne ich das Auto und werfe sie hinein. Immer noch bleibe ich stehen und habe das Gefühl, etwas Außergewöhnliches tun zu wollen. Zögernd strecke ich das erste Bein ins Auto und da überlege ich es mir anders, schmeiße die Türe wieder zu und laufe in die Stadt, zum Bahnhof. Es fühlt sich absolut richtig an, auch wenn ich nicht weiß, was ich gerade mache. Es ist 14:41 Uhr.
Der Zug, der in die Richtung fährt, wo Sarah arbeitet, geht um 15:01 Uhr. Dann bin ich um 15:23 Uhr dort. Sicherlich wird sie staunen. Während ich auf den Zug warte, erhalte ich eine SMS. „19 Uhr heute Abend im Little Ben. James K.“ Little Ben, wo denn sonst als in seinem Lieblingslokal. Katner wird sich betrinken und ich werde ihn nach Hause bringen müssen. Na toll.
Endlich sitze ich im Zug und zum Glück habe ich eine Zugkabine für mich ganz alleine, bei den vielen Leuten da draußen, die sich verzweifelt um einen Sitzplatz bemühen. Der Zug fährt ab. Es ist 15:03 Uhr. Immer noch frage ich mich, was ich eigentlich gerade mache. Zugfahren ist an und für sich nichts Besonderes, aber für mich ist es total schräg. Irgendwie muss ich jetzt über mich lachen. Mir gefällt dieser sonnige, schöne Tag, der mal ganz anders verläuft, als ich es gewohnt bin. Die Landschaft zieht an mir vorbei, als wäre sie es, die rast, und ich derjenige, der steht. Der nächste Halt, wir bleiben stehen. Die Menschenmenge wird immer dichter. Ich frage mich, wohin sie bloß alle wollen. Es ist mittags, circa 15 Uhr, und sie sehen nicht so aus, als wären sie auf dem Weg zur Arbeit, dennoch haben sie so einen Gesichtsausdruck, als würden sie zu spät kommen und bereits ihre Kündigung auf dem Schreibtisch liegen sehen. Es macht Spaß, die Menschen einmal zu dieser Zeit, in dieser Situation, zu beobachten. Einige schauen in meine Kabine hinein und überlegen es sich dann doch anders. Mache ich so einen Eindruck, als würden sie mich stören? Ich weiß es nicht. Oder ich störe sie. Wie dem auch sei. Dort draußen finden sie sowieso keinen ruhigen Platz. Und schon wieder schaut jemand in meine Kabine. Eine junge Frau. Schnurstracks ist auch sie wieder weg. Jetzt muss ich laut lachen. Was für ein verrückter Tag. Mit einem kleinen Ruck fährt der Zug auch schon wieder weiter. Es ist 15:10 Uhr. Nur noch ein paar Minuten, dann bin ich da. Gerade als ich meinen Kopf zurücklehne, um kurz meine Augen zu schließen, geht die Türe meiner Kabine erneut auf und die junge Frau von vorhin scheint es sich doch noch anders überlegt zu haben. „Entschuldung, stört es Sie, wenn ich
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