Solange, bis ich dich finde: Roman (German Edition)
nicht reibungsloser sein könnte. Es ist 7:54 Uhr. Nun macht schon. Das darf doch wohl nicht wahr sein. Energisch hupe ich und signalisiere den Gesichtern, die mich nun wütend von ihrem Spiegel heraus beobachten, dass ich keine Zeit mehr habe. Außer kopfschüttelnde und zurückhupende Reaktionen kommt nichts zurück. Mein Handy klingelt unaufhörlich und als ich drangehe, kommt mir die Stimme von Katner erneut entgegen: „Wir sind alle versammelt und warten nur noch auf dich. Noah, beeil dich, gerade heute ist es sehr wichtig.“
„Ja, ich weiß. Der Stau, ich kann …“, und am anderen Ende der Leitung ist die Verbindung abgebrochen worden. Er hat einfach aufgelegt. Das gibt es ja nicht. Okay, er ist sauer. Er hat sich auf mich verlassen und ich habe es heute Morgen einfach nicht rechtzeitig geschafft. Es ist 8:04 Uhr. Gleich bin ich da und sie sollen sich wegen dieser paar Minuten nicht aufregen. Das kann doch jedem passieren. Jedem, außer mir. Mit einer perfekten Frau an der Seite, keinen Verpflichtungen gegenüber Kindern und keinen Schulden müsste ich doch wenigstens meinen Job zu hundert Prozent erfüllen. So jemand wie ich darf sich keine zeitlichen Engpässe erlauben.
Mit Schweißperlen auf der Stirn renne ich zum Aufzug, drücke auf den Knopf und warte, so wie einige Kollegen auch. Sie starren mich mit einem verunsicherten Lächeln an und vergessen natürlich das förmliche „Guten Morgen“ nicht. Ich nicke ihnen zu, als sie ihre Blicke, noch prüfend, langsam von mir wenden. Wir steigen in den Aufzug, die Türe schließt, jeder drückt eine Etage, auf die er möchte, und so sind wir gezwungenermaßen für einige Sekunden in schweigendem, verkrampftem Zustand zusammen. Zum Glück lässt das erlösende „Bing“ nicht lange auf sich warten und die Fahrstuhltüre öffnet sich. Ein kurzes „Auf Wiedersehen“ in die Runde und ich bin draußen. Jetzt schnell zum Meeting. Es ist 8:14 Uhr.
„Spaghetti Bolognese und einen kleinen Salat bitte.“
Diesen fettigen Geruch von Frittiertem in der Luft kann ich allmählich nicht mehr riechen. Doch was bleibt schon anderes übrig, als in 30 Minuten Mittagpause in die Werkskantine zu gehen. „Was möchten Sie zum Trinken?“
„Hallo! Trinken!“
„Äh, entschuldigen Sie bitte. Ein Glas Wasser“, entgegne ich gedankenverloren, als ich gerade einen Gemäldedruck von Claude Monet neben dem Toiletteneingang betrachte, auf dem eine Abendstimmung von Venedig zu sehen ist. Ich bezahle, nehme das Tablett mit dem Essen entgegen und setze mich an einen Tisch, genauso platziert, dass ich das Gemälde noch ein wenig betrachten kann. Ich könnte darin versinken und spüre eine seltsame Sehnsucht. Es steigt ein Verlangen in mir auf, irgendwohin zu reisen. Vielleicht nach Venedig. Einfach abhauen. Weg von hier und weg von allem. Gerade, als ich den nächsten Bissen nehmen möchte, klopft mir jemand auf die Schulter, so dass ich meine Gabel fallen lasse.
„Gut gemacht Noah.“
„Katner?“, sage ich überrascht und fische meine Gabel aus der Soße. „Vielen Dank auch.“
„Für was denn? Du hast den dicken Fisch doch an Land gezogen. Nicht ich.“
„Ich meine die Gabel. Katner, manchmal bist du ein Idiot.“
„Oh, entschuldige. Heute Abend bist du eingeladen. Das muss gefeiert werden. Und, ach ja, bevor ich’s vergesse: Nimm dir heute Mittag frei, mach was Schönes, genieße den Tag und bleib so erfolgreich wie du bist.“
Ehe ich etwas sagen kann, ist er schon wieder weg. So ist er – James Katner. Er ist quasi mit seinem Beruf verheiratet und duldet keine Mitarbeiter, denen ihre Familie wichtiger ist als der Beruf. Er vereinbart Termine, ohne jemals Rücksprachen mit den Mitarbeitern zu halten. Jeder Termin, sogar ein Privattermin, den er ausmacht, weil er gerade niemanden hat, muss eingehalten werden. Sonst flattert die erste Abmahnung wegen Arbeitsverweigerung auf den Schreibtisch. Demnach werde ich um die heutige Einladung, die aus welchen Gründen auch immer ausgesprochen worden ist und die mich wohin auch immer führen wird, nicht herumkommen. Ärger mit Katner zu haben, bedeutet nichts Gutes. Zudem bin ich für ihn so was wie sein bester Kumpel. Er hat mich sozusagen für diese ehrbare Stellung auserkoren. Ob er auch für mich ein guter Freund ist, ist ihm recht egal.
Der halbe Teller ist noch voll, aber irgendwie ist mir nicht mehr danach. Schnell räume ich das Geschirr weg und breche auf. Wieso auch nicht? Einfach gehen und den Rest für
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