Solange die Nachtigall singt
Gräser gepflanzt, die früher einmal hier gestanden hatten. Der Wilderer, der nun kein Wilderer mehr war, sondern ein Jäger, sprach mit ihm. Lange. Er sagte ihm, dass keine Renaturierung nötig war. Dass alles natürlich und schön war, so, wie er es vor sich sah. Doch der andere sah die Schönheit nicht. Und er wusste nichts von den Mädchen.
Der Jäger hütete sich, etwas zu sagen. Er spürte die Angst der drei Mädchen. Er redete sich ein, er wäre etwas wie ein Vater für sie. Er hatte ihre Geschichte in Bruchstücken gehört, vom Tod ihres Vaters, von dem alten Herrn. Sie brauchten ihn, sie brauchten jemanden, der für sie da war. Zwölf waren sie jetzt, erst zwölf. Niemand, dachte er, kann mit zwölf Jahren alleine im Wald leben.
Er wusste im Grunde, dass sie es konnten. Dass sie nicht waren wie andere zwölfjährige Mädchen. Und dass es den Verrückten gab, der ab und zu beim Haus auftauchte. Auch er konnte Holz hacken und das Wasser in den Turm hochpumpen, er war stark. Dennoch hielt der Jäger sich gern für notwendig. Er wusste im Grunde genauso gut, dass er kein Vater war, sondern etwas ganz anderes. Er sah Joanas Blicke, er sah sie seit einem Jahr.
Der große Renaturierer ließ nicht locker.
»Manchmal reißen die Wölfe Menschen«, sagte Jolanda. »Sie werden erst viel, viel später gefunden. Oder gar nicht.«
Der Jäger begrub den großen Renaturierer an der sumpfigsten Stelle im Wald, im Gedenken an sein Hochmoor. Er sagte den Mädchen nie, dass er ihn erschossen hatte. Aber er hatte das Gefühl, dass sie es wussten. Sie sahen mit ehrfürchtigerem Blick zu ihm auf seit diesem Tag.
Der Zweite kam, um Bäume zu fällen. Niemand konnte sagen, warum er es sich in den Kopf gesetzt hatte, gerade das Holz des Nebelwaldes zu schlagen, und ob er eine Erlaubnis dafür hatte. Er kam ein halbes Jahr nach dem großen Renaturierer. Der Jäger erschoss ihn nicht, weil er Bäume fällte. Wie viele Bäume konnte ein einzelner Holzfäller fällen? Er erschoss ihn, weil er eines der Mädchen sah. Er hätte geredet, unten im Dorf. Mehr Leute wären heraufgekommen, um nachzusehen, was im Wald vor sich ging.
Was ging dort vor sich?
Eigentlich nichts, sagte der Jäger sich. Ein Mann lebte mit drei Mädchen in einem Haus, inmitten der Schönheit. Das war alles.
Als die Mädchen vierzehn Jahre alt wurden, gab es fünf Gräber im Wald, die niemand besuchte. Der Ruf der Wölfe unten im Dorf war bedeutend schlechter geworden. Einer war gekommen, der Tronke hieß und selten da war, den rissen die Wölfe nicht, denn er redete nicht viel. Er würde niemandem etwas über die Mädchen sagen, weil er niemandem etwas über irgendetwas sagte. Einmal sprach der erste Jäger mit ihm über das Reden und das Nichtreden, und alles war in Ordnung, und das erleichterte beide.
Der Zweite, den die Wölfe nicht rissen, war der Dorftrottel, das große Kind mit den geronnenen Augen, das den Mädchen aus irgendeinem Grunde nahestand. Der erste Jäger wusste nicht, ob er ihn mochte. Manchmal, wenn der mit den geronnenen Augen das Haus im Wald besuchte, war er seltsam eifersüchtig. Es tat weh.
Am Tag des vierzehnten Geburtstags der Mädchen kam wieder einer in den Wald. Ein Spaziergänger. Er stand einfach plötzlich im Apfelgarten, Verwunderung in den Augen. Und weil das Haus schön war, holte er einen Fotoapparat aus seinem Rucksack und begann zu fotografieren: den Efeu. Den wilden Wein. Die bestickte Bettwäsche, die im Wind auf einer Leine baumelte. Ein malerisches und eindeutig bewohntes Haus.
Der Jäger fragte ihn nicht, ob er vorhatte, jemandem von seiner Entdeckung zu berichten, dass es bewohnt war. Er zerstörte den Apparat und trug die Leiche des Mannes hinaus in den Wald. Es war Frühling, und im jungen Gras vor dem Haus wuchsen Narzissen.
Als er zurückkehrte, zitterten die Hände des Jägers unkontrollierbar.
An diesem Tag nahm Joana ihn bei der Hand, streichelte das Zittern fort und führte ihn ins Schlafzimmer der Mädchen.
»Wir sind lange alt genug«, flüsterte sie.
Er wehrte sich nicht gegen ihre geschickten Finger. Er brauchte ihr nichts zu erklären, sie schien mit allem vertraut, weise vor der Zeit, und er ließ ihr ihren Willen. Ihre Haut war sehr weich und unglaublich jung; sie fühlte sich an wie die Blütenblätter der Narzissen. Aber die Narzissen da draußen im Gras hatten etwas sehr Unschuldiges, Kindliches, und was Joana auf dem Bett tat, hatte nichts mit Unschuld zu tun.
Zwischen den Spiegeln verlor
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