Solange die Nachtigall singt
der erste Jäger seinen Sinn für Realität. Er war sich nicht sicher, ob es nur Joana war, die er in den Armen hielt, oder am Ende sogar alle drei … Er schloss die Augen, um nicht mehr darüber nachdenken zu müssen.
Als er sie wieder öffnete, sehr viel später, war er so erschöpft wie nie zuvor. Die Mädchen waren fort. Er zog sich an und ging hinaus in den Wald, allein. Er war ein Mörder. Er war sehr müde.
Es wäre wunderbar, dachte er, über nichts mehr nachzudenken. Der Ast des Ahorns über dem dunklen Auge winkte ihm mit seinen jungen Blättern. Der Strick ließ sich ganz leicht knoten. Der Ruck des Sprungs riss den ersten Jäger zurück, und das Letzte, was er hörte, war das Brechen seines Genicks.
Der erste Jäger existierte nicht mehr.
Nur noch sein Gewehr stand im Schuppen.
Es stand nicht lange, da kam ein zweiter Jäger.
Er kam an einem sonnigen Tag in den Nebelwald und ging an einem sonnigen Tag wieder, drei Jahre später. Er brauchte lange, um das Schießen zu lernen. Zuvor hatte er sich nur mit dem Aufstöbern von Wasseradern ausgekannt, unter Straßenzügen, in Wäldern, unter Betten, die umgestellt werden mussten, wenn er eine fand. Er wurde ein anderer im Haus mit den Efeuwänden.
Da war eines der Mädchen, das ihn liebte. Jolanda hieß sie, und er lernte, sie von den anderen beiden zu unterscheiden. Sie war ruhig und sanft, kühl und zurückhaltend, weder aufbrausend noch naiv. Dass gerade sie ihn liebte, schmeichelte ihm.
Aber wenn sie zu ihm kamen, kamen sie alle drei, und er ließ sich von ihnen trösten, wenn er wieder ein Stück Beute geschossen hatte, das er nicht hatte schießen wollen. Der Erste, den er begrub, war ein reicher Mann, der den Wald kaufen und ein Hotel darin bauen wollte. Der Zweite war einer aus dem Dorf, der seinen Mut beweisen wollte, indem er durch den Winterwald ging, während die Wölfe heulten, und der sah, was er nicht sehen sollte. An den Dritten dachte er nicht gern, der war so jung gewesen, beinahe noch ein Kind.
Auch die Mädchen waren manchmal beinahe noch Kinder – Kinder, die ein abwegiges und grausames Spiel spielten. Er hatte beschlossen, sie zu verlassen, an jenem letzten sonnigen Tag. Er stand am dunklen Auge, oben auf den Felsen, und sah unten sein Spiegelbild. Er war gekommen, um die grünen Jägerstiefel hinunterzuwerfen. Er würde wieder ein Wünschelrutengänger werden.
Die Mädchen waren jetzt siebzehn. Er war vierunddreißig. Er stand, immer noch, am Anfang seines Lebens, und er würde weiterleben, da draußen.
Er hörte Schritte hinter sich und drehte sich um, und da stand sie, Jolanda, er spürte, dass sie es war.
»Komm nicht näher«, bat er. »Ich habe einen Entschluss gefasst, und du kennst ihn seit einer Weile. Ich gehe.«
Sie streckte eine Hand aus.
»Nicht!«, sagte er.
Sie lächelte, ein perfektes, wunderschönes Lächeln, das ihn anzog wie ein Magnet – und plötzlich packte ihn das Entsetzen; er sah hinter ihrem Lächeln all die Gräber, all das Blut, all die verschwundenen Wanderer.
»Ich liebe dich«, flüsterte sie, ihre Stimme kühl und distanziert wie immer. »Aber wenn du gehen musst, musst du gehen.«
Sie kam näher, er sah ihre weiße Hand, die ihn berühren wollte, und schreckte davor zurück – machte, vielleicht gedankenlos, einen Schritt nach hinten. Einen zu viel. Sie sah ihm nach, von der Felskante aus, wie er unten auf dem Stein aufschlug, wo noch kein Wasser war. Sie lächelte noch immer, wie erstarrt, stand noch immer mit ausgestreckter Hand.
Vier Wochen später hing in der Galerie das Bild eines Mädchens, das winzig klein inmitten eines detailgetreuen, wunderschönen Sommerwaldes stand, am Rande eines kreisrunden Kraters, in den der Betrachter nicht hineinsehen konnte. Vielleicht war in dem Krater ein See. Die Galeristin mit den vielen kleinen grauen Löckchen verkaufte das Bild zu einem hervorragenden Preis an einen reichen Touristen, der das Spiel des Sonnenlichts auf den Bäumen lobte.
Und wieder stand nur das Gewehr im Schuppen.
Bis der dritte Jäger kam.
Wohin führte der Weg des dritten Jägers?
Der Weg des dritten Jägers führte in die Dunkelheit.
In einen Keller.
Die Zeit im Keller war kurz und lang. Es gab die Zeit im Keller nicht, sie verging nicht, weil Jari nicht wusste, wie viel von ihr verging. Er wusste nicht, wann es Tag und wann Nacht war, wann es draußen schneite und wann die Sonne auf den Wald schien. Nicht einmal, wann die Nebel kamen.
Er kauerte neben dem Grab
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