Solange die Nachtigall singt
Körper wie ein rotes Signal. Er öffnete die Augen.
»Jascha?«, flüsterte er.
Sie saß neben ihm, ein altes Unterhemd in der Hand, sein Unterhemd, und begann, abwechselnd ihn und sich selbst damit trocken zu rubbeln. Seine Haut war weiß wie ihre Haut, weiß wie das Eis, aber dort, wo sie sich mit dem Unterhemd daran zu schaffen machte, sah er das Blut an die Oberfläche zurückkehren und wieder Farbe hineinbringen. Dies alles, dachte er, ist wirklich. Dies alles ist das Leben.
»Jascha«, flüsterte er noch einmal. »Jascha. Du bist ja hier. Du bist wirklich.«
»Ja, du Idiot, das bin ich«, keuchte sie. »Wo sollte ich sonst sein?«
»Sie … sie haben gesagt, du wärst tot. Du wärst ins Wasser gegangen …«
»Was?« Sie starrte ihn an. Dann stampfte sie mit einem bloßen Fuß auf. »Das haben sie gesagt? Sie haben mich eingesperrt, Jari, wie ein Kind, das Hausarrest bekommt. Und du hast ihnen geglaubt, was sie gesagt haben?«
»Ich …«
»Du bist betrunken.«
»Nicht mehr. Das Wasser da ist ziemlich … ernüchternd. Ich habe versucht zu tauchen. Dich zu finden. Ich wollte zu dir. Das war alles, was ich noch wollte.«
Sie wischte sich über die Augen. »Sie waren das, oder?«, fragte sie. »Sie haben dich betrunken gemacht. Sie brauchen all diese Dinge, den Wein, die Pilze, die Spiegel … all diese Illusionen … Ich hasse sie!«
Jari schüttelte den Kopf, seine Gedanken begannen erst langsam wieder, eine Reihenfolge und eine Richtung zu bekommen.
»Jascha … warum hast du mein Unterhemd in der Hand?«
Sie deutete auf den Haufen an Kleidern, der zu ihren Füßen auf dem flachen Felsen lag, und plötzlich lachte sie. »Sieht aus, als hätte ich dir trockene Sachen mitgebracht. Bis auf das Unterhemd, das ist jetzt nass.«
Er schüttelte den Kopf. »Und sie haben dich eingesperrt? Wie kannst du dann hier sein?«
»Matti hat die Tür aufgeschlossen.«
»Matti? Er … er ist nicht …?«
»Tot?« Sie schüttelte den Kopf, dass ihr weißes Haar flog. »Mit dem Tod will ich nichts mehr zu tun haben«, sagte sie. »Mit dem Tod ist Schluss.«
Er nahm sie in die Arme. Sie war sehr warm in der Kälte.
»Wenn ich das glauben könnte«, flüsterte er. »Wenn ich nur lachen und das einfach glauben könnte.«
»Hey!«, rief in diesem Augenblick jemand von oben, von der Kante des Felsens. Jari zuckte zusammen und spürte, wie auch Jascha zusammenzuckte. Dennoch ließen sie sich nicht los, als sie gleichzeitig aufsahen.
»Matti«, sagte Jari und lächelte.
»Gehen wir?«, rief Matti. »Ich meine, nachdem ihr etwas angezogen habt? Was immer ihr da unten tut, es wäre besser, etwas anzuziehen …«
»Ich habe den Zeisig aus dem See gefischt!«, rief Jascha und lachte plötzlich. »Der arme Vogel wäre fast ertrunken. Ja. Wir gehen.«
»Wir?«, fragte Jari und stieg in seine Hosen. Seine Hände zitterten. Auch wenn für den Moment keiner von ihnen die Kälte spürte, so war sie doch da. Jaris nasses Haar hatte bereits begonnen zu gefrieren, er spürte es.
»Die Temperatur fällt«, sagte Jascha und nickte zufrieden. »Morgen ist das dunkle Auge vielleicht von einer so dicken Eisschicht bedeckt, dass keiner mehr sagen kann, ob zwei Körper darunter im Wasser liegen. Joana und Jolanda werden einen Abschiedsbrief von mir finden, der genau das besagt.«
»Wohin?«, wollte Jari wissen. »Wohin gehen wir?«
»Weg«, antwortete Jascha und half ihm, das Hemd zuzuknöpfen. Ihre Finger zitterten so sehr wie seine.
»Ich dachte, du kannst nicht weggehen«, flüsterte Jari.
»Das dachte ich auch«, wisperte sie. »Aber Matti hat gesagt, ich kann.«
»Matti.« Jari grinste. »Der muss es wissen.« Er ließ seinen Blick an ihr hinab- und wieder hinaufgleiten, und zum ersten Mal schien es ihr nicht unangenehm zu sein. »Du hast nichts an.«
»Nein. Ich hatte deine Sachen an. Ich werde auf den Skiern zum Haus zurückfahren und meine eigenen Sachen holen.«
»Ich wünschte, das müsstest du nicht«, sagte Jari. »Ich habe Angst, Jascha. Angst, dass du nicht wiederkommst.«
Sie zog ihn mit sich den Pfad hinauf, wo Matti wartete. Als sie neben ihm standen, wandte Matti seinen Blick ab, als wäre ihm ihre Nacktheit aus dieser Nähe, bei diesem Licht, zu viel.
»Geht ihr vor«, sagte Jascha ernst. »Ihr beide. Geht in die Richtung, die du kennst, Jari. Ich hole euch ein. Bald. Lange vor der Klamm. Ich ziehe mir nur etwas an. Und ich habe noch etwas zu erledigen. Matti soll die Skier nehmen, mit seiner
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