Solange die Nachtigall singt
Nachtigall tot. Ja. Viele. Andere nicht. Kind spielt ein Spiel. Will, dass alles anders ist. Glaubt Dinge, Kind.«
»Was für Dinge glaubt das Kind, Branko? Welches Kind?«
Branko zuckte die Schultern. »Glaubt, leben. Nachtigallen. Kleines Mädchen Kind. So viel Blut!«
Er schluchzte auf und verbarg sein Gesicht erneut in den Händen, und Jari fürchtete, er würde wieder aufspringen und in die Höhle zurückrennen. Er griff in seine Tasche und fand die getrockneten Pilze.
»Branko«, flüsterte er. »Ich habe Medizin. Medizin gegen die Angst. Gegen die Verzweiflung. Gegen die Erinnerung. Bitte … mach den Mund auf …«
Branko gehorchte. Jari legte die Pilze in seinen Mund, und er kaute gehorsam. Nach einer Weile breitete sich ein Lächeln über sein Gesicht.
»Medizin«, flüsterte er. »Branko leicht. Fliegt. Kopf tut nicht mehr weh. Heller jetzt.«
»Ja«, sagte Jari. »Wir fliegen nach Hause.«
Heimlichweiß
»Suppe«, sagte Jascha. »Es gibt Suppe heute Abend. Suppe wärmt von innen. Es wird kalt.«
»Der Winter kommt«, sagte Jolanda.
»Bald«, sagte Joana.
In der Vase auf dem Fensterbrett standen Zweige voller roter Beeren. Branko saß reglos auf der Küchenbank wie ein Fels. Sie hatten ihn gewaschen und in saubere Sachen gesteckt; die Wunden an seinem Kopf waren mit Salbe bedeckt. Aber da war eine tiefere Wunde, die man nicht sehen konnte. Vielleicht, dachte Jari, hatten die Pilze den Schmerz nur an eine verborgenere Stelle in seinem Innern verbannt, wo er keine Chance hatte, zu entkommen.
Es war sehr still in der Küche. Über die Höhle konnte nicht gesprochen werden, das war klar, Jaris Fragen mussten warten.
»Ich habe Tronke getroffen«, sagte er schließlich, nur um irgendetwas zu sagen. »Er sagt, sie werden eine Straße bauen durch den Wald. Natürlich müssen sie erst alles ausmessen und planen, vielleicht wird es ja Frühjahr, bis sie bauen …«
Die Schwestern sahen ihn an, alle drei, und ihre dunklen Augen lagen auf ihm wie Schatten.
»Im Frühjahr bekommen die Rosen in der Schlucht Knospen«, sagte Jascha.
»Im Frühjahr blühen die Bäume im Wald«, sagte Jolanda.
»Im Frühjahr«, sagte Joana und lächelte ihr spöttisches Lächeln, »werfen die Wölfe.«
»Tronke hat gesagt, sie … sie müssen die Schlucht … wahrscheinlich … sie schütten sie zu.« Jari schluckte. »Und sie werden eine Menge Bäume fällen. Aber eine Straße macht alles einfacher, da hat Tronke recht, auch für euch. Es ist weniger mühsam, eine Straße entlangzugehen. Man verläuft sich nicht. Leute könnten herkommen, zu … Besuch …«
Seine Worte versickerten zwischen den Dielen und vertrockneten dort, er sah, wie sich ihre welken Enden einrollten und verdorrten.
Im Kaminzimmer brannte das Feuer wie stets, als Jari später die Treppe hinaufging. Er hatte die Mädchen vorausgehen lassen, um seine Gedanken unten in der Küche noch ein wenig zu ordnen, doch es war ihm nicht gelungen. Jetzt blieb er einen Moment vor der Schiebetür stehen, ehe er sie öffnete. Er hörte die Stimmen der Mädchen drinnen, vermischt mit dem Knacken und Prasseln der brennenden Scheite.
»Du hast gehört, was er gesagt hat. Sie werden die Schlucht zuschütten. Die Rosen töten.«
»Die Bäume fällen. Den Wald töten.«
»Den Sumpf trockenlegen. Die Blumen töten.«
»Die Schönheit. Die Schönheit töten. Und uns.«
»Es wird bald geschehen. Bald.«
»Er wird uns helfen. Er liebt. Oder er glaubt zu lieben. Das reicht.«
»Lasst ihn doch gehen!«, bat die eine Stimme, dringlich plötzlich und sehr leise. Als ahnte sie, dass er lauschte. Als hätte er die ersten Worte hören dürfen, diese aber nicht, diese auf keinen Fall.
»Ich will nicht, dass mit ihm geschieht, was mit den anderen geschehen ist. Ich will nichts mehr von alledem!«
»Lasst ihn doch gehen?« Jari hörte ein leises Lachen. »Wohin denn? Wohin soll er gehen? Es gibt keinen anderen Ort mehr für ihn. Er ist ein Teil des Waldes geworden, ein Teil der Schönheit.«
»Du hast es ja versucht. Heimschicken wolltest du ihn wie einen kleinen Jungen. Und ist er gegangen? Zurückgekommen ist er, von selbst. Er hat sich entschieden. Er ist mutig. Er wird mutig sein für uns.«
»Aber – aber er wird es nicht überleben. Noch ein Grab werden wir graben im Wald, noch einen Helden in der Erde verscharren. Irgendwann. Keiner überlebt es. Und er ist anders als die anderen.«
»Anders? Jeder ist anders. Willst du eines wissen? Du liebst.«
»Ich
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