Solange die Nachtigall singt
auf einmal fiel die Langsamkeit von ihm ab, auf einmal war er bei Jari und schüttelte ihn. »Branko kein Mörder!«, rief er. »Kein Mörder! Still, still, alle so still, Branko hat fortgetragen. Überall Blut!« Er packte Jari und zog ihn in die tiefe Schwärze, drückte seine Hand gegen den kalten Felsen. Er war selbst stark wie ein Bär. »Überall Blut, er fühlt? Noch feucht, kann niemals trocknen in der Nacht! Hier, hier!«
Dann ließ er ihn los, und Jari hörte ein dumpfes Geräusch neben sich. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass Branko seinen Kopf gegen die Wand stieß, wieder und wieder, wimmernd jetzt wie ein Kind.
»Hör auf damit!«, schrie er und versuchte, Branko an den breiten Schultern zu fassen. »Branko! Nein! Du verletzt dich!«
Brankos Körper war zu massig, zu schwer, Jari konnte ihn nicht stoppen. Er stand im Dunkeln und hörte, wie Brankos Schädel wieder und wieder auf dem Felsen aufprallte, ein schreckliches Geräusch, hörte sein Wimmern und wollte sich die Ohren zuhalten. Schließlich rannte Branko mit einem Aufschrei zur gegenüberliegenden Wand der Höhle, warf sich dagegen, rannte zurück, warf sich gegen eine andere Wand, raste hin und her wie ein gefangenes Tier und schien den hellen Ausgang nicht zu sehen.
»Hör auf!«, brüllte Jari noch einmal. »Hör auf damit!«
Brankos Schreie hallten an den Felsenwänden wider und vervielfältigten sich zu einem grausamen Konzert aus Wut und Verzweiflung, und Jaris Kopf drohte zu zerspringen.
Dann war es vorbei, ganz plötzlich. Der massige Körper sank mitten in der Höhle in sich zusammen, und Jari hörte nur noch ein unterdrücktes Schluchzen. Es erinnerte ihn an das Schluchzen, das er aus dem Zimmer voll goldenem Kerzenschein gehört hatte. Er kniete sich neben Branko, fasste seinen Arm und zog ihn hoch. Diesmal ließ Branko sich ziehen, er stand gehorsam auf und folgte Jari hinaus aus der Dunkelheit wie ein Hund.
Jari setzte ihn auf einen der Felsbrocken vor dem Höhleneingang, wo er einfach sitzen blieb, das Gesicht in den Händen verborgen. Blut verkrustete sein verfilztes Haar, altes Blut und neues Blut. Vielleicht war er in den letzten Tagen schon gegen diese Wände gerannt.
»Branko … darf nicht hierherkommen«, flüsterte er zwischen seinen Schluchzern. »Nicht gut. Manchmal Brankos Beine kommen, allein, Füße gehen in die Dunkelheit, Branko findet keinen Ausgang. Licht ist weg.«
Jari sah jetzt, dass Brankos massiger Körper nicht so massig war wie beim letzten Mal, als er ihn gesehen hatte. Er war abgemagert. Wie lange hatte er in der Höhle gesessen und vergeblich den Ausgang gesucht, gefangen in jenem Albtraum von Blut an seinen Händen?
Jari zog diese Hände sanft von Brankos Gesicht und begann, sie zu streicheln. »Da ist kein Blut«, flüsterte er. »Schau, kein Blut, nur Dreck.«
Branko blinzelte aus seinen rot geweinten Augen. Er nickte und schluckte. »Kein Blut.«
»Kannst du mir erzählen, was passiert ist?«, fragte Jari behutsam. »Damals?«
Branko schüttelte den Kopf. »Nein. Niemand erzählen. Frag sie.«
»Wen?«
»Mädchen.«
»Sie antworten mir nicht. Sie haben Angst. Sie erinnern sich auch, Branko, genau wie du, aber sie wollen nicht darüber sprechen.« Er bemühte sich, eine Ruhe in seine Worte zu legen, die er gar nicht besaß. »Um etwas zu heilen, muss man wissen, was passiert ist. Es ist wie mit einer Wunde, verstehst du? Um eine Wunde zu verbinden, muss man wissen, wo sie sich befindet.«
»Drei«, sagte Branko. »Tief, tief. Sind geheilt. Narben jetzt, man sieht noch.«
Jari nickte. »Ich weiß. Jede von ihnen trägt eine.«
»Alles eins«, sagte Branko und zuckte die Schultern.
Dann zeigte er auf das Gewehr in Jaris Hand. »Ich-bin-ich-bin ist der Jäger geworden«, stellte er fest und lächelte beinahe.
»Ja«, sagte Jari. »Ich habe mich furchtbar blöd angestellt, aber jetzt kann ich schießen. Sie wollen, dass ich sie beschütze.«
Branko nickte. »Der Jäger muss beschützen. Branko kann nicht beschützen. Der Jäger muss schießen. Wölfe und Bären. Mädchen Angst.«
»Ich werde euch alle beschützen«, erklärte Jari. »Die Mädchen und dich.«
»Mädchen. Alles eins«, sagte Branko. Dieser Satz schien zu seinen liebsten zu gehören. Er bückte sich und zog eine Feder unter einem Felsbrocken hervor. Drehte sie behutsam in seinen groben Händen. »Nachtigall«, sagte er traurig. »Singt nicht mehr. Still, still.«
»Ist die Nachtigall tot?«
»Diese
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