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Solange die Nachtigall singt

Solange die Nachtigall singt

Titel: Solange die Nachtigall singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Jagdschein.«
    »Sie haben mir doch selbst gezeigt …«
    »… wie man schießt«, sagte Tronke. »Natürlich. Schieß du nur so viele Hasen hier, wie du willst. Ich hab dir schon gesagt, ich komme nicht gern her. Hab genug zu tun im anderen Wald. Dieses Revier haben sie mir zusätzlich aufgedrückt, ich wollte es niemals haben.« Er sah Jascha an – oder war es Joana? »Wo verstecken sich deine Schwestern?«
    Sie zuckte mit den Schultern und deutete hinter sich in die Schlehen. »Ich könnte nachsehen.«
    Damit tauchte sie wieder in das Wirrwarr aus Ästen.
    »Eigentlich sollte das Revier hier einem reichen Herrn gehören«, fuhr Tronke fort. »Er wollte bauen. Ein Hotel. Wandertourismus.«
    »Aber er hat es nicht getan«, sagte Jari.
    Tronke schüttelte den Kopf. »Nein. Er ist gekommen, um es sich anzusehen … Ich hab ihm gesagt, er soll nicht allein durch den Nebelwald gehen, man verläuft sich darin zu leicht. Und da sind die Wölfe. Man hat ihn nie gefunden. Das Stück Wald ist zurück an den Staat gefallen.«
    »Wie bitte?«
    Tronke wischte die Geschichte mit einer Bewegung seiner Pfeife weg. »Na, jetzt kommt ja die Straße. Darüber wollte ich mit den Mädchen sprechen. Dachte mir schon, dass sie hier sind. Der Frost hat die Schlehen reifen lassen, ich wusste, dass sie kommen.« Er nickte, zufrieden darüber, wie gut er die Mädchen kannte. »Kommt raus, ihr Versteckspielerinnen!«
    Eines der Mädchen erschien am anderen Ende des Gebüschs. Sie entstieg den Schlehensträuchern wie einer blau-grün gemusterten Brandung, und Jari glaubte, in ihrem ruhigen Gesicht Jolanda zu erkennen.
    »Die Straße«, wiederholte sie. »Jari sagt, sie wollen die Schlucht zuschütten.«
    Tronke nickte. »Kann passieren. Wenn es sein muss. Die Straße ist gut, auch für euch.«
    »Möglich«, sagte Jolanda. »Aber dieser Wald gehört uns. Sagen Sie den Leuten, sie sollen ihre Straße anderswo bauen.«
    »Er gehört euch nicht «, erwiderte Tronke und zog an seiner Pfeife. »Der ganze Wald ist Staatseigentum. Ich habe mich erkundigt. Gut möglich, dass nicht mal der Grund, auf dem das Haus steht, dem Alten gehört hat. Den hat es nie geschert, wem was gehört hat und wo wer was bauen kann.«
    »Kein böses Wort über den Alten!«, sagte Jolanda und verschwand wieder zwischen Ästen und Blättern.
    Das Mädchen, das gleich darauf aus den Büschen auftauchte, besaß Jaschas sanften Blick. Doch jetzt stand neben der Sanftmut Furcht darin. Tronke trat zu ihr und legte eine Hand auf ihre schmale Schulter.
    »Mädchen«, sagte Tronke leise, »seid mir nett zu den Leuten vom Straßenbauamt. Ich will keinen Ärger in diesem Wald. Versteht ihr … ich habe nie einem da draußen etwas von euch erzählt. Eure Sache, wo ihr lebt und wie. Hab immer den Mund gehalten, so, wie ihr das wolltet … Lange, lange. Es gibt eine Zeit für alles, eine Zeit für Schlehen und eine Zeit für Straßen. Für Veränderung. Jetzt ist es Zeit.« Damit drehte er sich um und stapfte wieder davon in den Wald.
    Jari hörte, wie Jascha aufatmete. Aber als er sie ansehen wollte, stand sie schon nicht mehr neben ihm. Nur noch die Zweige der Schlehen bewegten sich.
    »Na, großer Jäger«, sagte Joanas spöttische Stimme hinter seinem Rücken. »König des Waldes. Sieht aus, als gäbe es bald keinen Wald mehr, den du regieren könntest. Aus ist es mit der Schönheit, aus und vorbei.« Ihr Spott war bitter und bissig wie nie. »Reißt die Efeumauern ein«, flüsterte sie. »Jagt die Tiere fort und fällt die Bäume, baut eure Leitpfosten auf das Grab der wilden Rosen. Füllt den Wald mit Lärm. Die drei schönen Mädchen werdet ihr darin nicht mehr finden. Das dunkle Auge ist tief.«
    »Joana …«, begann Jari und wollte einen Arm um sie legen, doch sie zuckte zurück. »Joana, was redest du denn da? Es ist nur eine Straße …«
    »Tief«, wiederholte sie. »Aber es liegt sich weich dort unten, solange man nicht alleine ist.«
    Und damit ließ sie ihn stehen und rannte davon wie ein trotziges, verletztes Kind.
    Jari trug den Hasen nach Hause und war nicht länger stolz darauf, ihn geschossen zu haben. Der Hase nützte keinem etwas. Und der Jäger war nur ein einziger Mensch, winzig, unbedeutend, er konnte nichts ausrichten. Die Straße würde gebaut werden. Die Landvermesser würden kommen und den Anfang machen, dann die Holzfäller und schließlich die Planierraupen. Und die Schönheit würde sterben.
    Er wanderte lange durch den Wald, und schließlich

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