Solange es hell ist
Beigelegt war ein versiegelter Umschlag, der gemäß Mr Mylecharanes Verfügung nach seinem Tod an Fenella weiterzuleiten war. Diesen Brief öffneten wir und lasen den erstaunlichen Inhalt. Ich gebe ihn hier in voller Länge wieder, da es sich um ein wahrhaft charakteristisches Dokument handelt.
Liebe Fenella, lieber Juan (denn ich gehe davon aus, dass da, wo einer von Euch ist, der andere nicht weit entfernt sein kann – j e denfalls munkelt man das),
Ihr we r det Euch vielleicht erinnern, mich sagen gehört zu haben, für jeden Menschen mit ein bisschen Grips sei der Schatz mühelos zu fi n den, den dieser reizende Halunke von Großvater versteckt hat. Ich legte diesen Grips an den Tag – und mein Lohn waren vier Truhen mit purem Gold. Genau wie im Märchen, stimmt’s? An lebenden Verwan d ten habe ich nur vier, Euch beide, meinen Neffen Ewan Corjeag, von dem ich stets habe sagen hören, er sei ein ganz und gar übles Subjekt, und einen Ve t ter, einen Dr. Fayll, über den ich nur sehr wenig weiß, und dieses Wenige ist nichts Gutes. Me i nen eigentlichen Besitz hinterlasse ich Euch beiden, aber ich glaube, dass mir eine gewisse Verpflichtung aufe r legt ist bezüglich dieses »Schatzes«, der mir einzig und allein durch meine Findigkeit zug e fallen ist. Mein reizender Vorfahr wäre, wie ich meine, höchst u n gehalten über mich, wenn ich den Schatz lediglich weitervererben würde. Und darum habe ich mir nun meinerseits ein kleines Rätsel au s gedacht.
Es sind noch immer vier »Schatztruhen« vorhanden (wenn auch in zei t gemäßerer Form als Goldbarren oder Goldmünzen), und es soll vier Konkurrenten geben – meine vier lebenden Verwandten. Am g e rechtesten wäre es natürlich, jedem von ihnen eine »Truhe« zuzuwe i sen – aber auf der Welt, liebe Kinder, geht es nun einmal nicht gerecht zu. Der Sieg gehört dem Schnellsten – und oft dem Skrupellose s ten 1 . Wer bin ich, wider die Natur zu handeln? Ihr müsst eben Euren Verstand gegen die beiden anderen aufbieten. Eure Chancen stehen, wie ich fürchte, ziemlich schlecht. Gutm ü tigkeit und Arglosigkeit we r den auf dieser Welt selten belohnt. Davon bin ich so felsenfest übe r zeugt, dass ich bewusst gemogelt habe (eine weitere Ungerechtigkeit, wie Ihr bemerken werdet!). Dieser Brief an Euch geht vierundzwanzig Stunden früher ab als die Briefe an die beiden anderen. Ihr habt somit eine gute Chance, Euch den ersten »Schatz« zu sichern – vierun d zwanzig Stunden Vorsprung sollten, sofern Ihr nur ein bisschen Grips habt, gen ü gen. Die Hinweise für das Aufsp ü ren dieses Schatzes befinden sich in meinem Haus in Douglas. Die Hinweise für den zweiten »Schatz« werden erst b e kannt gegeben, nachdem der erste Schatz gefunden wurde. Im zwe i ten und allen weiteren Fällen fangt Ihr also alle am gleichen Punkt an. Ich wünsche Euch viel Erfolg, und nichts würde mir größere Fre u de bereiten, als dass Ihr alle vier »Truhen« bekommt, aber aus Gründen, die ich bereits g e nannt habe, halte ich dies für höchst u n wahrscheinlich. Denkt daran, dass sich der liebe Ewan nicht durch irgendwelche Skrupel wird aufhalten lassen. Begeht nicht den Fe h ler, ihm in irgendeiner Hinsicht zu trauen. Was Dr. Richard Fayll b e trifft, so weiß, ich sehr wenig über ihn, aber ich könnte mir denken, dass man bei ihm auf alles gefasst sein muss.
Viel Glück Euch beiden 1 . Es grüßt Euch, mit wenig Hoffnung bezü g lich Eures Erfolges,
Euer Onkel
Myles Mylecharane
Als wir zu Ende gelesen hatten, sprang Fenella mit einem Satz neben mir auf.
»Was ist denn?«, rief ich.
Fenella begann hastig im Kursbuch zu blättern.
»Wir müssen so schnell wie möglich auf die Isle of Man«, rief sie aus. »Wie kann er es wagen, uns gutmütig und arglos und blöd zu nennen! Dem werd ich’s zeigen! Juan, wir werden sämtliche vier Truhen finden, heiraten und glücklich leben bis an unser seliges Ende, mit Rolls-Royce-Limousinen und Lakaien und marmornen Bädern. Aber wir müssen auf der Stelle auf die Isle of Man!«
Inzwischen waren vierundzwanzig Stunden vergangen. Wir waren in Douglas eingetroffen, hatten mit den Anwälten gesprochen und standen nun in Maughold House vor Mrs Skillicorn, der Haushälterin unseres Onkels selig, einer etwas furchteinflößenden Frau, die sich angesichts Fenellas Eifer ein wenig zugänglicher zeigte.
»Hatte schon komische Einfälle, Ihr Onkel«, sagte sie. »Hat anderen immer gern was zum Knobeln und zum Sinnieren
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