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Solar

Solar

Titel: Solar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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mögen. Man konnte ihnen alles nachsehen, jedem Einzelnen. Sie alle waren ein bisschen hilfsbreit, ein bisschen selbstsüchtig, manchmal grausam, vor allem aber waren sie komisch. Die Motorschlitten passierten die von hohen Wänden eingeschlossene Rinne, den Schauplatz seiner Schmach, über die man am besten kein Wort mehr verlor. Lieber erinnerte er sich an seine coole Flucht vor dem mörderischen Eisbären. Doch, ja, er konnte sich regelrecht für die Menschheit erwärmen. Und sie sich vielleicht auch für ihn. Alle, wir alle, waren dem Vergessen anheimgegeben, das war der Lauf der Dinge und nicht weiter beklagenswert. Als Spezies mochten wir nicht die denkbar beste sein, aber mit Sicherheit die beste, nein, die interessanteste, die es gab. Wie aber passte die Stiefelkammer dazu, diese Schande, die sie alle betraf? Offenbar lag dergleichen in der menschlichen Natur. Und wie konnten wir in diesem Punkt jemals Fortschritte machen? Selbstverständlich war Wissenschaft etwas Gutes, und die Kunst, wer weiß, vielleicht auch, aber womöglich ging es gar nicht um Selbsterkenntnis. Stiefelkammern brauchen eine Ordnung, die uns über unsere Fehlbarkeit hinweghilft. Beard kam zu dem Schluss, man dürfe nichts der Wissenschaft, der Kunst oder dem Idealismus überlassen. Nur vernünftige Gesetze würden die Stiefelkammer retten. Und Bürger, die die Gesetze respektierten.
    Diese versöhnlichen, der Menschheit und sich selbst alles verzeihenden Gedanken begleiteten ihn bis zum Hotel, wo sie rechtzeitig zum Mittagessen eintrafen. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, seit sie von hier aufgebrochen waren. Sie gaben ihre Kälteschutzanzüge und alles Übrige ab, verabschiedeten sich von Jan, und eine Stunde später saßen sie im Flugzeug nach Trondheim. Für den Weiterflug nach Oslo benutzte er eine andere Fluggesellschaft als die Künstler, die noch vier Stunden Aufenthalt hatten. In dem kleinen Flughafengebäude schienen sie sich kaum voneinander losreißen zu können. Sie enterten die Bar, bestellten Bier und Hotdogs, und bald ertönten wieder die alten Lieder, die Klagegesänge von der globalen Katastrophe. Dort fand sie Beard, als es Abschied zu nehmen galt. Zwanzig Minuten lang wurden E-Mail-Adressen und Umarmungen ausgetauscht. Stella Polkinghorne küsste ihn auf die Lippen, Jesus gab ihm seine Geschäftskarte. Als Beard die Bar verließ, folgte ihm ein lautes Hurra. Sein bescheidenes Mitwirken draußen auf dem Eis und sein vorgebliches Interesse an Windturbinen hatten ihm zu einer ungewohnten Beliebtheit verholfen. Sogar der spindeldürre Romanautor hatte ihn an seine schmale Brust gedrückt. Beard lächelte noch dreißig Minuten später vor sich hin, während seine zweimotorige Propellermaschine über die vereiste Startbahn hoppelte und nach Süden schwenkte, um ihn in das Chaos zurückzubringen, das zu vergessen ihm beinahe gelungen war.

    Er übernachtete in Oslo, buchte auf einen Flug um sechs Uhr morgens um und traf drei Stunden früher als geplant in Heathrow ein. Beim Anflug über den Windsor Park fiel heftiger Regen durch die grünschwarze Morgendämmerung, die Autos auf den Zufahrtsstraßen hatten die Scheinwerfer an. Als er in der Taxischlange vor dem Terminal von einem zehn Meilen langen Stau auf der M4 hörte, ging er wieder rein und in die unterste Ebene, nahm den Zug nach Paddington und von dort ein Taxi. Als er vor seinem Haus eintraf, hatte es aufgehört zu regnen; nur noch von den schwarzen Ästen der Ebereschen am Straßenrand fielen schwere Tropfen. Während das Taxi davonfuhr, blieb er mit seinem Gepäck am Gartentor stehen und sah sich um; es wunderte ihn, dass in einer so dicht besiedelten Gegend morgens um zehn an einem Wochentag kein Mensch zu sehen war, nicht einmal Stimmen oder ein Radio waren zu hören. Belsize Park wirkte so unbelebt wie die Arktis. Dort aber, in dem winterlichen Garten mit der einen kahlen Birke und dem alten Apfelbaum, stand sein Haus, seine ganz private Büchse der Pandora, ein gepflegter grauer frühviktorianischer Bau mit steinernen Mittelsäulen in den Parterrefenstern. Nicht viele Londoner Häuser besaßen einen so prächtigen Vorgarten, einen mit alten Backsteinen in Fischgrätmuster gepflasterten Weg, der in sanftem Bogen zur Eingangstür führte, und eine bemooste Grundstücksmauer. Architektonisch war es allen seinen früheren ehelichen Wohnungen überlegen, und jetzt würde es verkauft und die Einrichtung sich ebenso in alle Winde zerstreuen, wie die zwei Bewohner sich

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