Solar
Rücken des Bären landete, machte der einen Satz nach vorn und reckte das offene Maul mit den gelben Zähnen in die Luft. Aldous' Beine hoben ab, für den Bruchteil einer Sekunde schwebte sein beträchtlich langer Körper waagerecht über dem Boden, dann schwangen die Beine gar noch höher, und er reckte instinktiv die fuchtelnden Arme nach unten, um den Sturz abzufangen, aber dann war es doch sein Hinterkopf, der als Erstes aufschlug, nicht auf den Boden, nicht auf die Kante, sondern auf die abgerundete Ecke des Glastischs, die ihm stumpf ins Genick eindrang.
Eine tiefe, drückende Stille senkte sich über den Raum. Mehrere Sekunden vergingen.
»Nein, nein, bitte nein«, flüsterte Beard, als er sich Aldous näherte.
Der junge Mann lag ausgestreckt auf dem Parkett, wie von einem Bestatter hergerichtet: die Arme dicht am Körper, die Augen aufgerissen, die Lippen leicht geöffnet, der Morgenmantel ordentlich geschlossen. Beard ging neben ihm in die Knie. Kein Atem, kein Puls. Ein Kranz aus Blut, zwanzig Zentimeter im Durchmesser, schimmerte unter seinem Kopf, aus irgendeinem Grund wurde er nicht größer. Aber dann sah Beard, das Blut versickerte, nein, es floss in Strömen in die Ritzen zwischen den Dielen. Der Blutverlust allein hätte ausgereicht, um Aldous zu erledigen.
»O verdammt... o verdammt...«, flüsterte Beard immer wieder. Etwas Undenkbares war geschehen, er vertrieb den Gedanken, machte es ungeschehen, rückgängig, weil es einfach nicht sein konnte. Es war zu unwahrscheinlich. Aber mit jeder Sekunde rückte die neue Wirklichkeit näher an ihn heran, machte seine Willensanstrengung zunichte und setzte sich fest. Es war geschehen. Er dachte auch an das, was er hätte tun sollen, Herzmassage, Mund-zu-Mund-Beatmung. Wie alle, die im Labor arbeiten, hatte er diese Techniken lernen müssen. Aber etwas sehr Leises, nicht so sehr eine Stimme, eher eine mächtige Instanz jenseits seiner Bestürzung, legte ihm nahe, den Körper nicht anzufassen.
Er stand auf und ging zum Telefon. Er zitterte. Die Stille von Belsize Park verdichtete sich, als seine Hand über dem Hörer zögerte. Dieselbe vernunftbegabte Instanz riet ihm, sich das sorgfältig zu überlegen. Er war kein von Natur aus unentschlossener Mensch. Was hatte er bloß? Seine Hand fühlte sich an wie tot. Er brauchte einige Sekunden, ehe er seinen gesunden Menschenverstand wiederhatte und sich vorstellte, wie andere die Situation interpretieren würden. Von außen betrachtet sah es doch folgendermaßen aus: Ein Mann kommt von einer Auslandsreise nach Hause und trifft dort auf den Liebhaber seiner Frau. Es kommt zum Streit. Zwanzig Minuten später ist der Liebhaber tot, getroffen von einem Schlag auf den Hinterkopf. Ich versichere Ihnen, er ist ausgerutscht, er ist auf dem Eisbärenfell ausgerutscht, als er durchs Zimmer auf mich zurannte. Ach ja? Und warum ist er gerannt, Mr Beard? Er wollte seine Arme um meine Knie schlingen und mich anflehen, ihn nicht zu entlassen, sondern mit ihm zusammen die Welt vor dem Klimawandel zu retten. Das klang wenig überzeugend. Zum letzten Mal, Mr Beard, haben Sie nicht doch Blut an die Tischecke geschmiert? Und was haben Sie mit der Tatwaffe gemacht, Mr Beard? Seine Unschuld würde ihn teuer zu stehen kommen. Er würde sie sich verdienen, erkämpfen müssen. Die Medien würden ihn zerfleischen. Sex, Verrat, Gewalt, eine schöne Frau, ein bedeutender Wissenschaftler, ein toter Geliebter - perfekt. Und Patrice, ob guten oder bösen Willens, wäre seine Hauptanklägerin. Zwei Jahre an nichts anderes denken können. Ein Nobelpreisträger, ein kahl werdender Klugscheißer und Regierungsbeauftragter auf der Anklagebank, der verzweifelt versucht, einer Gefängnisstrafe zu entgehen.
Allein schon bei der Vorstellung bekam er weiche Knie, dennoch setzte er sich nicht. Die Sache war klar. Nur die ihn liebten, würden ihm glauben. Und ihn liebte niemand. Er hätte Kinder haben sollen, Töchter, die jetzt erwachsen wären und sich empört für ihn einsetzen würden. Er ging durchs Zimmer zum Flur und kehrte wieder um. Er wusste nicht, was er tun sollte. Und dann doch. Er trat aus dem Wohnzimmer in den Flur, stieg vorsichtig über die Pfützen und ging in die Küche, zu der Schublade, in der Alu- und Klarsichtfolie und Backpapier aufbewahrt wurden. Ebenfalls in dieser Schublade lag eine Schachtel mit durchsichtigen Wegwerfhandschuhen.
Er streifte sich ein Paar über. Daran war nichts Kriminelles, doch kaum steckten seine
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