Solar
einmal gewesen war -, und bevor er hineinging, entsorgte er die Plastiktüte in einem Abfalleimer. Drinnen war dann alles mehr oder weniger wie erhofft. Er hatte eine Kleinigkeit zu erledigen und sprach mit jemandem aus der Verwaltung, der wusste, wer er war. Beard erzählte, dass er auf Spitzbergen gewesen war, und erwähnte beiläufig, er sei direkt von Heathrow mit dem Taxi gekommen und unterwegs in einem Stau steckengeblieben. Der andere bekundete sein Mitgefühl und versprach auf das Gepäck aufzupassen, während Beard in die British Library ging.
Im Taxi zur Euston Road machten seine Beine sich selbständig und begannen zu zittern. Dennoch überquerte er den Vorplatz der Bibliothek wie jeder andere, betrat das Gebäude und suchte sich einen freien Arbeitsplatz. Er ließ sich ein paar Aufsätze bringen - historisches Material zu einem Vortrag, den er demnächst halten sollte - und schwitzte stundenlang darüber, wartete auf den Moment gegen Viertel nach vier, wo das Handy in seiner Tasche vibrieren würde.
Über seine Papiere gebeugt, las er kein Wort, zwang sich aber, ein paar Notizen zu machen. Erstaunlich, was sich da zugetragen hatte. Jedes Mal wenn er daran dachte, traf es ihn mit voller Wucht. Verwunderlich, was er getan, wie besonnen er gehandelt hatte; ohne nachzudenken, hatte er sich wie ein Mörder verhalten, der seine Spuren verwischt, und gleichzeitig alle Fakten beseitigt, die ihn entlastet hätten. Einziger Zeuge seiner Unschuld war er selbst, nun gab es kein Zurück. Genau genommen hatte er, während er nüchtern zu handeln glaubte, in Panik gehandelt. Was wusste er schon von Kriminaltechnik? Immerhin war es möglich, dass seine frischen Fingerabdrücke von heute sich erkennbar von denen unterschieden, die er Wochen und Monate zuvor im Haus hinterlassen hatte. Wenn man feststellen konnte, dass er am Vormittag im Haus gewesen war, würde er zum Verdächtigen.
Was für Fehler waren ihm noch unterlaufen, welche Nachbarn hatten unbemerkt vom Fenster aus sein Kommen oder Gehen beobachtet? Oder gesehen, wie er etwas in den Container geworfen hatte? War es richtig gewesen, die Werkzeugtasche mitzunehmen? Als er über Aldous gekniet hatte, dürfte eine Unmenge Hautschuppen und Haare und andere mikroskopische Partikel von ihm auf den Jungen gerieselt sein, beziehungsweise auf den Morgenmantel. Aber der Morgenmantel gehörte ja ihm und war ohnehin mit den organischen Spuren seiner Existenz durchtränkt. Das traf sich doch gut. Seine vielen Spuren im Haus waren geradezu seine Versicherung. Aber nur, wenn Fingerabdrücke sich nicht datieren ließen. Irgendwo in diesem Gebäude, im Magazin der Bibliothek, standen tausend Bücher, die ihm das sagen könnten, aber er wagte es nicht, sich eins davon kommen zu lassen. Jetzt war es sowieso zu spät.
Um zehn vor vier erhob er sich mit steifen Knien von seinem Platz und ging in die Cafeteria, um auf den Anruf zu warten, der nun bald kommen musste. Er nutzte die Zeit und ging noch einmal durch, was er nicht wissen durfte: dass Aldous im Haus war, dass er ihr Liebhaber war, dass er tot war. Vielleicht gab es noch ein viertes Detail, bei dem er sich ahnungslos stellen musste, und er war nur zu nervös, jetzt darauf zu kommen. Womöglich sogar ein fünftes. Gar nicht so einfach, sich zu konzentrieren, denn in den Räumlichkeiten der ehrwürdigen Bibliothek ging es längst nicht mehr so ernst und ruhig zu wie früher. In der Cafeteria wimmelte es von Schülern oder Studenten, die ihre Mäntel und Rucksäcke auf dem Boden zwischen den Tischen abgelegt hatten; überall liefen sie herum, auf den Gängen, auf den Treppen, und lachten und redeten zwanglos in normaler Lautstärke. War heute so eine Art Tag der offenen Tür? Jedenfalls herrschte hier eine Atmosphäre wie im Studentenwerk einer modernen Universität - fehlte eigentlich nur noch ein Tresen, ein Flipper, ein Kickertisch. Beard war es ganz recht, in diesem Gewühl unterzutauchen, aber fast hätte er den Anruf verpasst, der eine Stunde später kam als erwartet, und noch immer konnte er sich nicht auf die Details Nummer vier und fünf besinnen, bei denen er sich ahnungslos zu stellen hatte. Er musste seinem Instinkt vertrauen und davon ausgehen, dass sie nicht existierten.
Patrice sagte: »Wo bist du?« Ihre Stimme klang matt, und trotz allem konnte er eine gewisse törichte Hoffnung nicht zurückhalten: Endlich interessierte sie sich wieder für ihn.
Er antwortete ihr und fragte dann: »Was gibt's?«
»Die
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