Solar
Stadtmauer gestürmt und seine Identität versenkt in ihr Ei. Jetzt erwartete man von ihm dasselbe. In vierzig Jahren hatte er mehrere Frauen, darunter auch zwei, mit denen er verheiratet gewesen war, zu Schwangerschaftsabbrüchen überredet. Es war ein Wunder, dass er so weit gekommen war, ohne Vater zu werden. Melissa würde er nicht so ohne weiteres überreden können. Sie beobachtete ihn. Die Lippen erwartungsvoll geöffnet, harrte sie seiner Worte, Daddys erster Worte, die den Kurs dieses neuen Lebens andeuten würden.
»Erst mal den Whisky.«
»Komm mit.«
Er legte einen Arm um ihre Schulter, zusammen stiegen sie über seine Sachen hinweg und schritten über die Eichendielen in ihre straff organisierte Küche. In einem großen grünen Topf, aus dem die durchdringenden Düfte kamen, köchelte es vor sich hin. Bis auf eine noch herumstehende Packung Reis wies nichts darauf hin, dass hier gekocht wurde; alle Flächen waren sauber abgewischt, jedes bisschen Abfall im Müll, alle Gerätschaften abgewaschen, eingeräumt. Es war ihm ein Rätsel, wie eine so sinnliche Vollblutfrau wie Melissa dermaßen peinlich auf Reinlichkeit bedacht sein konnte. Ein Baby, das täglich mehrmals für Unordnung sorgte, würde sie hart auf die Probe stellen. Aber dieses Baby durfte nicht sein, die Frage war einzig und allein, wie lange er brauchen würde, sie davon zu überzeugen. Warum sah sie nicht selbst, wie verrückt es wäre, wenn er diese Verpflichtung auf sich nähme! Was für eine klägliche Vorstellung: er fast siebzig, und das Kind noch nicht mal zehn! Ganz zu schweigen von den Charaktermängeln des Vaters, seinem Talent zur Unordnung, seinem rücksichtslosen Arbeitsdrang, seinen mickrigen Einkünften in den letzten Jahren, nicht mal sechsstellig, seiner schlimmen Vergangenheit, dem Risiko eines Vererbungsfehlers bei der Übermittlung seines altersschwachen Samens an die Nachwelt. Und ihre Eier konnten nach neununddreißig Wintern doch auch nicht mehr taufrisch sein! Und was sollte aus seiner Lebensaufgabe werden? Wäre es übertrieben zu behaupten, dass der Planet Schaden nahm, wenn er von seinem Weg abgebracht würde? Doch wohl kaum.
Er sah zu, wie sie in den grünen Topf spähte; sie schien zufrieden, schraubte die Flasche auf, schenkte ihm ein und gab einen Eiswürfel dazu. Falls seine Einwände überzogen waren, dann nur, weil er fürchtete, die Entscheidung könnte ihm bereits aus der Hand genommen sein. Sie wollte das Kind, hatte es immer schon gewollt. Also gab es nichts zu argumentieren, er konnte nur flehen. Wenn sie ihn liebte, würde sie zuhören, aber sie liebte ihn und wollte ein Kind und würde ihn nicht erhören. Die Lage war ernst, geradezu unheilschwanger. Er nahm den Drink entgegen, kippte ihn aber nicht auf einmal runter, wie er es getan hätte, wenn er mit dem Problem allein gewesen wäre, sondern trank in hastigen kleinen Schlucken.
Sie lächelte ihm zu, setzte den Reis auf, gab Olivenöl und Zitronensaft in eine Schüssel und schüttete Rucola aus einem Päckchen im Kühlschrank hinein. Dieser Berg Grünzeug war bestimmt für sie selbst. Folsäure, sekundäre Pflanzenstoffe, Antioxidantien, Vitamin C. Essen für zwei. Es musste etwas geschehen.
Sie sagte: »Weißt du was, ich glaube, ich werde ausnahmsweise mal ein Glas Weißwein trinken.«
Er wollte nicht, dass Vorkehrungen für eine Abtreibung sich ins Anstoßen auf eine bevorstehende Geburt verkehrten. Ebenso wenig wollte er, dass die Entwicklung des Nervensystems seines Kinds im Mutterleib durch Alkohol Schaden nahm. Er war so neben der Spur, dass er kein Wort herausbrachte. Sie prostete ihm zu, er prostete wortlos zurück. Sie hatte nicht mehr Wein in ihrem Glas als er Whisky in seinem.
»Gefällt dir mein Rock?«
Mit dieser Frage, das hörte er, wechselte sie nicht etwa das Thema. Der Rock war aus feiner Kaschmirwolle, anthrazitgrau, mit vielen Falten, die in weitem Bogen aufsprangen, wenn sie sich um sich selber drehte.
»Wunderschön«, sagte er. »Genau wie du. Noch nie hast du so gut ausgesehen.« Keine schlaue Idee, sie auch noch zu bestätigen, aber er konnte nicht anders. Dafür hakte er nach: »Im wievielten Monat bist du?«
»In der siebten Woche.«
»Wann hast du es erfahren?«
»Vorgestern.«
»Melissa, sag es mir. War das ein Unfall?«
Sie kam zu ihm und legte ihm eine Hand an die Wange. Wieder spürte er die Wärme ihres Körpers. Ein heißer Ofen, dachte er benommen, mit einem Braten in der Röhre. Ihrem gemeinsamen
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