Solarstation
Clip.
»Mich interessiert, woher der kommt«, erklärte ich. »Er scheint hier aus der Ritze herausgequollen zu sein.«
»Sie glauben, er kommt aus einem der Geräte?«
»Vielleicht.«
Tanaka musterte mich zweifelnd. Eigentlich musterte er mich, wenn ich zurückdachte, fast immer zweifelnd – gerade so, als frage er sich, was jemand wie ich an Bord dieser Raumstation, unter all diesen fähigen und intelligenten Menschen, verloren hatte.
Was ihn in diesem Augenblick zweifeln ließ, war meine Idee, die Schalttafeln abzuschrauben. Man schraubte nicht einfach Schalttafeln ab. Wie dies zu geschehen hatte, dafür gab es genaue Vorschriften; es gab Handbücher und technische Dokumentationen, die vor einem solchen Schritt zu konsultieren waren, die Arbeit mußte ferner von einem zugelassenen Raumingenieur ausgeführt werden, und beim Wiedereinbau galt es eine Fülle von Sicherheitsvorkehrungen zu beachten, Checklisten waren abzuhaken und dergleichen. Kurzum, mein Vorhaben war eines, das einen hochqualifizierten, hochbezahlten und wichtigen Mann wie zum Beispiel Iwabuchi, Tanaka oder Sakai mehrere Stunden in Anspruch nehmen würde.
»Ist Ihnen klar, was das für ein Aufwand wäre?« fragte Tanaka also. Seine Nasenflügel bebten dabei nervös. Alles an diesem Mann schien dünn und nervös zu sein.
»Ja.«
»Was rechtfertigt diesen Aufwand?«
Tja. Das wußte ich auch nicht. Ich hatte keinen logisch stichhaltigen, rational zwingenden Grund vorzuweisen. Es war nur ein Gefühl, nur… dai rokkan.
»Ich weiß nicht, ob der Aufwand zu rechtfertigen ist«, gestand ich. »Nicht, ehe wir die Tafel abgeschraubt haben.«
Tanaka sah mich an, als habe er es mit einem tollwütigen Schimpansen zu tun. »Sonna bakana!« zischte er durch die geschlossenen Zähne. »Die Schalttafeln bleiben, wo sie sind, wakatakka?«
»Hai«, nickte ich ergeben. Er war der Boß. Zumindest der zweite Boß.
»Wahrscheinlich«, warf Sakai ein, »handelt es sich um einen Tropfen meines Hautöls.« Wir sahen ihn überrascht an, und er wirkte ungewöhnlich nervös, als er Tanaka gegenüber eine devote Verbeugung andeutete und an ihn gerichtet fortfuhr: »Domo sumimasen. Als Sie vorhin im Maschinendeck waren, habe ich für einen kurzen, aber selbstverständlich unentschuldbaren Moment meinen Posten verlassen, bin in meine Kabine gegangen und habe mir Gesicht und Hände eingecremt. Ich wollte diese nichtswürdige Verfehlung gestehen, ehe aufwendige, aber sinnlose Maßnahmen eingeleitet werden.«
Die verschraubten Phrasen japanischer Höflichkeit faszinierten mich immer wieder.
»Nun, Carr«, meinte Tanaka, schon weit weniger höflich – aber ich war ja auch nur ein blaßgesichtiger, ungehobelter gaijin –, »da hören Sie es. Hautöl. Ich denke, damit ist der Fall erledigt.«
»Hai, Kommandant«, nickte ich. Den Clip mit dem fraglichen Tropfen in der Hand, verließ ich ohne ein weiteres Wort die Brücke. Mein Ziel war das materialwissenschaftliche Labor im Maschinendeck. Dort wußte ich Dr. Chong Woo Kim von der Universität von Seoul. Kim hatte eines der modernsten Analysegeräte, das für Geld zu kaufen war, in seinem Labor stehen, und er würde mir sicher den Gefallen tun, den Tropfen zu analysieren.
Und fuck you, Kommandant Isamu Tanaka, wenn es etwas anderes war als Hautöl!
KAPITEL 8
Kim Chong Woo hatte, obwohl Koreaner, ein flaches, pockennarbiges Gesicht von eher chinesischem Typus, und das Lächeln darauf schien ein untrennbarer Bestandteil seiner Gesichtszüge zu sein. »Es wird mir sein eine große Ehre, Mister Carr«, radebrechte er sofort, als ich ihm mein Ansinnen vortrug, nahm mir den Clip aus der Hand und applizierte den Öltropfen darauf in eine haarfeine Glaskapillare, die er wiederum in einen röhrenförmigen Probenträger aus Edelstahl steckte. Das Ganze schob er in die Aufnahmeöffnung eines unscheinbaren Gerätes, dem man die Millionen, die es gekostet haben mußte, überhaupt nicht ansah, und drückte einen Knopf. Das unscheinbare Gerät begann summend zu arbeiten.
»Es wird dauern«, lächelte er. »Längeren Zeitraum.«
»Gut«, meinte ich, während ich den Clip abwischte und wieder an meinem Overall festklemmte, »ich kann ja warten. Lassen Sie sich nicht in Ihrer Arbeit stören.«
»Sie stören überhaupt nicht«, beeilte Kim sich zu versichern. Er zögerte trotzdem ein wenig, ehe er sich wieder vor seiner Versuchsanordnung festschnallte. »Wird wichtiger Bestandteil meiner Habilitationsarbeit«, erklärte er. »Sie
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