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Solarstation

Titel: Solarstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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wissen, was eine Habilitationsschrift ist?«
    Ich nickte gequält. Kim konnte mich leiden, aber auch er hielt mich für beschränkt. »Ja«, sagte ich. »Sie wollen Professor werden.«
    Er nickte begeistert. »Professor für Metallurgie an Universität von Seoul. Weltraum-Metallurgie.«
    In diesem Moment waren harte, schabende Kratzgeräusche von den Wänden des Labormoduls her zu hören, als schlage jemand von außen mit einem Schraubenschlüssel dagegen in der Hoffnung, eine brüchige Stelle zu finden. Nein, es waren mehr als ein Schraubenschlüssel. Sechs mindestens, und sie klopften und scharrten sich die Wand entlang auf das freie Ende des Moduls zu.
    »Aha«, lächelte Kim. »Das ist Spiderman. Möglicherweise Sie haben Lust, Spiderman zu beobachten bei seiner Tätigkeit, Mister Carr?«
    »Gute Idee«, meinte ich. Ich zog mich an eine der Sichtluken und öffnete die Blende, so daß ich hinaussehen konnte.
    Spiderman war der Spitzname des Montageroboters, der unablässig, Tag und Nacht, jahraus, jahrein über die Solarfläche krabbelte und mit der unerschöpflichen Geduld einer Maschine an ihrer Vervollständigung arbeitete. Er sah aus wie eine große mechanische Spinne. Sein Körper war ein schmales, ungefähr rechteckiges Gebilde von annähernd drei Metern Länge, das neben der Energieversorgung und dem Steuerungscomputer vor allem zwei Greifzangen trug, die imstande waren, genau eine der Folienrollen zu transportieren, wie sie aus Kims automatischer Schmelze kamen. Am Kopfende äugten zwei beweglich montierte Kameras aufmerksam umher, und rechts und links des Körpers gab es jeweils drei sehr lange, sehr dünne Spinnenbeine, mit deren Hilfe sich der Roboter fortbewegte. Daher kam der Name.
    Spiderman war im Unterschied zu unserer großen, fernlenkbaren Montageplattform nicht imstande, sich freifliegend durch den Raum zu bewegen, weil er eben nicht ferngelenkt war, sondern sich vollkommen selbst steuerte und eine schwebende Fortbewegungsweise die Fähigkeiten seines Computersystems überfordert hätte. Er hatte Magnete und zangenartige Greifinstrumente an den Enden seiner Beine, mit deren Hilfe er sich ausnehmend elegant an der Trägerstruktur der Solarfläche entlanghangelte. In all den Jahren hatte er noch nicht ein einziges Mal danebengegriffen oder den Halt verloren, und das hieß einiges, denn Spiderman war noch ein gutes Stück älter als die ganze Raumstation.
    Ursprünglich hatte es zehn dieser Roboter gegeben, die den Ausbau der riesigen Solarfläche weitgehend selbständig bewerkstelligt hatten. Die anderen neun Roboter hatte man eines Tages, als der größte Teil des Solargenerators fertiggestellt gewesen war, wieder zur Erde zurückgeschafft; Spiderman war der Letzte seiner Art. An ihm hatte man testen wollen, wie lange ein Roboter im Weltraum funktionstüchtig bleiben kann. Mittlerweile aber schien es fraglich, ob irgendeiner der an diesem Test beteiligten Wissenschaftler sein Ende jemals erleben würde, denn Spiderman arbeitete und arbeitete und arbeitete unermüdlich und ohne Unterlaß. Er war ursprünglich einmal silberweiß lackiert gewesen, doch inzwischen hatte die gnadenlose Sonne seine Oberfläche regelrecht braungekocht. Seine einstmals klaren Kameralinsen begannen sich zu trüben von der Partikelstrahlung. Trotzdem ließ er sich nicht davon abhalten, emsig über die schneeweiße Ebene rings um die Station zu krabbeln, immer wieder neue Folie zu holen und mit seinen langsamen, aber geschickten Greifwerkzeugen auch die letzten leeren Stellen in der Struktur der Solarfläche zu füllen.
    So auch jetzt. Es war immer wieder faszinierend, den Roboter bei seiner Tätigkeit zu beobachten. Er krabbelte ans Ende des Moduls, bis er seinen ›Leib‹ genau über dem länglichen Schlitz der Ausgabeschleuse plaziert hatte. Dann betätigte er mit einem seiner Greifarme eine breite Taste, und das Schott der Ausgabeschleuse fuhr auf. Spiderman kontrollierte mit einem raschen Blick einer seiner Kameras, ob auch eine Rolle Folie darin lag. Dann senkte er seinen Leib auf die Öffnung herab, die Greifzangen packten die Folie, und noch während der Leib des Roboters wieder nach oben federte, schloß sich die schmale Schleuse wieder, und die Maschine, die in einem vakuumisolierten Raum untergebracht war, der die hintere Hälfte des materialwissenschaftlichen Labors beanspruchte, fing automatisch an, neue Solarfolie herzustellen. Und Spiderman stakte majestätisch den Weg zurück, den er gekommen

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