Solarstation
Gesicht strahlte jene Wärme und Zuversicht aus, die für gute Ärzte charakteristisch ist und im allgemeinen bewirkt, daß jeder Kranke schon beim Anblick des Arztes anfängt, sich besser zu fühlen.
»Wenn Sie mir nur noch gestatten, die Vorbereitungen dieses Versuchs hier abzuschließen…«, bat sie und nahm die Arbeit mit der Pinzette wieder auf.
»Kein Problem.«
»Sie haben gehört, daß der Shuttle später kommt?« fragte sie, während sie die letzten Samenkörner aus der kleinen Plastikflasche angelte, die sie in der Hand hielt. »Wahrscheinlich eine Woche. Als ich das hörte, beschloß ich, noch einen Keimversuch zu machen. Das Wachstum unter Schwerelosigkeit ist immer noch ein großes Rätsel. Manche Pflanzen haben keine Probleme damit, andere sehr große – warum? Diese Pflanze hier keimt nur unter Schwerkraft, und ich will feststellen, wie groß die Schwerkraft sein muß, damit die Keimung einsetzt. Man nennt dieses Verhalten der Pflanzen Gravitropismus. Pflanzen nehmen die Schwerkraft wahr, und dann wachsen Wurzeln abwärts, Stengel, Halme und Stämme aufwärts. Aber wie das funktioniert, ist noch weitgehend unklar.« Sie verstaute Plastikflasche und Pinzette in einer Schublade, schloß dann das lichtdichte Gehäuse der Trommel und schaltete den Motor ein, auf der niedrigsten Stufe. Die Trommel begann, sich ganz langsam zu drehen. Rotation ist die einzige Möglichkeit, im Weltraum eine Art Scheinschwerkraft zu erzeugen.
»Das klingt, als wären Sie froh, daß Sie noch eine Weile bleiben können«, meinte ich.
Sie lächelte, und ihr Gesicht wirkte plötzlich wie das eines verträumten Kindes. »O nein, Leonard-san, ich bin schrecklich ungeduldig. Da ist ein Mann, wissen Sie, der mich gebeten hat, seine Frau zu werden, und er wartet auf mich. Und ich warte auf ihn…«
»Oh«, machte ich. Ich hatte auf der Erde in Raumfahrerkreisen manchmal häßliche, abwertende Bemerkungen über die unverheiratete Ärztin gehört. »Herzlichen Glückwunsch.«
»Danke. Dies sind meine letzten Tage im Weltraum, wissen Sie? Ich werde mit ihm gehen, nach Wakkanai, hoch im Norden von Japan, wo er ein Häuschen besitzt. Man sieht dort aufs Meer hinaus, auf die Straße zwischen Hokkaido und Sachalin, und an klaren Abenden werden wir die Raumstation über den Himmel ziehen sehen, und ich werde ihm erzählen, wie es ist hier oben…«
Ich lächelte, und sie sah es. »Jetzt halten Sie mich für eine sentimentale alte Närrin, nicht wahr, Leonard-san?«
»Überhaupt nicht«, erwiderte ich. »Ich beneide Sie. Ich wünschte mir, auf mich würde auch jemand warten.«
Sie sah mich prüfend an, und das war jetzt wieder der Ärztinnenblick. »Ich kenne wenigstens sieben Menschen, die auf Sie warten – und auf mich«, meinte sie spitzbübisch. »Und die sehr ungeduldig werden, wenn wir sie mit dem Abendessen warten lassen. Kommen Sie, Leonard-san, es wird Zeit. Ikimasho!«
Sie nahm aus einem der leerstehenden Tierkäfige einen großen Plastikbeutel mit Sojasprossen, die das heutige Abendessen bereichern würden. Soja zählt zu den absolut unproblematischen Pflanzen; in der Schwerelosigkeit wächst es wie Unkraut.
Die frühen Weltraumexpeditionen, sowohl die amerikanischen als auch die russischen, waren gekennzeichnet von Hektik und Zeitnot. Die Astronauten hatten mehr oder weniger rund um die Uhr gearbeitet, um so viele Experimente wie möglich in der vorhandenen knappen Zeit zu erledigen, und ihre eigenen körperlichen Bedürfnisse waren dabei so ungefähr das Unwichtigste gewesen. Gearbeitet wurde in Schichten, geschlafen nur so viel wie nötig, und es wurde eigentlich nicht gegessen und getrunken – man nahm lediglich Nahrung zu sich. Ich hatte Protokolle des Funkverkehrs zwischen Houston, der amerikanischen Bodenleitstelle, und verschiedenen Mondflügen und Skylab-Missionen gelesen, die einen guten Eindruck der allgemeinen Zeitschinderei vermittelten, und die vielgerühmten guten Nerven der ersten Astronauten waren wohl vor allem deshalb notwendig gewesen, weil ihnen bei jedem Handgriff ein halbes Dutzend Leute besserwisserisch dazwischenquatschte.
Dergleichen Unkultur ist für das japanische Denken selbstverständlich indiskutabel. Nicht nur, daß die Japaner den sogenannten kleinen Dingen des Lebens von jeher größere Aufmerksamkeit zukommen ließen als wir Amerikaner mit unserer Fast-Food-Kultur; sie sind darüber hinaus auch fest davon überzeugt, daß nichts von wirklichem Wert geschaffen werden kann, wenn man
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