Solarstation
Tiefkühlschrank an Bord, der groß genug wäre?« fragte ich.
»Nein.«
»Ich auch nicht.« Da der nächste Versorgungsflug eines Shuttle fällig war, neigten sich die Vorräte ohnehin dem Ende zu. Wir räumten also einen der beiden Schränke frei und verstauten den Leichnam darin. Die letzten Siegel brachte ich auf dem Türverschluß an, dann kehrten wir zurück auf die Brücke. Die Steuerzentrale lag still und verlassen. Yoshiko war da, die gedankenverloren auf die Kontrollen des Kommunikationspultes starrte und unablässig ihr langes, schwarzes Haar zwischen ihren Fingern hindurchzog, und Moriyama, der in einem dicken Buch las und auf dessen Stirn sorgenvolle Falten standen. Auf meine diesbezügliche Frage erklärte er mir, er habe Tanaka, Sakai und Kim in die Labors geschickt, um nach Bauteilen zu suchen, aus denen man einen behelfsmäßigen Sender herstellen könnte.
»Das kann schließlich nicht so schwer sein«, brummte er. »Iwabuchi hätte wahrscheinlich längst einen zusammengebastelt, aus zwei Gabeln und einem Stück Draht. Aber wir haben in die Computer-Datenbank geschaut; dort findet sich die komplette Geschichte der Telekommunikation, mit vollständigen Biographien aller wichtigen Erfinder und mit ausführlichen Schaltplänen, was natürlich im Moment viel interessanter ist.«
Dann fixierte er mich angriffslustig. »Und jetzt, Mister Carr, erklären Sie mir, warum Sie Jayakar für unschuldig halten.«
Ich zuckte die Schultern. »Er hatte keinen Grund, Iwabuchi zu töten.«
»Auch nicht, wenn Iwabuchi ihm auf der Spur war?«
»Ich glaube nicht, daß er das war. Iwabuchi suchte einfach nur den Fehler. Aber angenommen, Jay hätte die Software sabotiert: Software, das sind nur Programme, und Programme kann man ändern, ohne daß Spuren zurückbleiben. Jay hätte die Manipulationen entfernen können, die gesäuberten Programme mit Iwabuchi durchsehen und genau die gleichen Manipulationen wieder einbauen können, ohne daß irgend jemand Verdacht geschöpft hätte. Im Gegenteil – nach einer solchen Untersuchung hätte niemand mehr die Software verdächtigt.«
»Aber niemand sonst hatte einen Grund, Iwabuchi umzubringen.«
»Von niemand sonst wissen wir genug, um ihm einen Grund unterstellen zu können, Iwabuchi umzubringen.«
In diesem Moment erklang das leise, glockenartige Signal eines gezielten Anrufs an die Raumstation. Wir horchten beide auf und sahen zu Yoshiko hinüber, die eine Muschel des Kopfhörers ans Ohr führte.
»Es ist die ESA «, sagte sie.
»Die Europäer?« wunderte sich Moriyama. »Was wollen die denn?«
»Uns sprechen.«
»Da haben sie wohl Pech gehabt.«
Mein Blick wanderte in der Schaltzentrale umher, über die Bildschirme und Tastaturen und Anzeige-Instrumente, und ein Gedanke, der sich seit einiger Zeit unterhalb der Schwelle meiner bewußten Wahrnehmung bildete, nahm plötzlich klare Gestalt an.
»Das Überwachungssystem«, entfuhr es mir, und als mich der Kommandant verständnislos ansah, erklärte ich: »Jemand, der Nachtwache hat, wird doch von den Bewegungsmeldern hier auf der Brücke überwacht. Wenn er sich eine Zeitlang nicht bewegt, zum Beispiel weil er eingeschlafen ist oder einen Herzinfarkt hat oder warum auch immer, leuchtet zunächst an jedem Arbeitsplatz eine gelbe Leuchtfläche auf. Wenn der Wachhabende sie nicht innerhalb von fünfzehn Sekunden berührt, ertönt ein Signalton, und eine rote Leuchtfläche leuchtet auf. Er hat nun dreißig Sekunden Zeit, dieses Signal abzustellen, andernfalls wird in der ganzen Station Alarm ausgelöst.«
Moriyama nickte. »Ja.«
»Jeder von uns weiß, daß er sich deshalb beim System abmelden muß, wenn er oder sie die letzte Person ist, die die Brücke verlassen will«, fuhr ich fort, und allmählich dämmerte Moriyama, worauf ich hinauswollte.
»Und diese Abmeldungen bleiben im Computer gespeichert. Ich verstehe.« Er saß schon an der nächsten Tastatur und ging mit seiner Kommandanten-Berechtigung ins System. Gleich darauf sahen wir das Brückenprotokoll der letzten Tage. Rechts unten wurde angezeigt, wann sich das letzte Mal jemand für dieses Protokoll interessiert hatte: das war schon über anderthalb Jahre her.
»Keine einzige Abmeldung«, stellte Moriyama verblüfft fest. »Er ist nicht einmal aufs Klo gegangen.«
»Einmal, aber da war ich noch auf der Brücke«, mischte sich Yoshiko ein. Sie streifte mich dabei mit einem Blick aus ihren mandelförmigen Augen, als nähme sie mich zum ersten Mal seit
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