Solarstation
Rakete.«
»Gegenschub?«
»Ja. Sie korrigiert die Abweichung.«
Kim veränderte die Stellung der Regler, so daß die Schubkraft der Plattform den Satelliten in die entgegengesetzte Richtung zog. Wieder flackerte die Linie, die den vorausberechneten Kurs anzeigte, sprang ein Stück zur Seite, um gleich darauf wieder in die alte Position zurückzukehren.
»Das ist nicht zu fassen«, flüsterte Moriyama ungläubig. »Der Satellit will uns treffen!«
»Abstand… nur noch fünf Kilometer!«
Kim stieß einen Fluch aus. Einen koreanischen Fluch. Niemand von uns sprach Koreanisch, aber jedem war klar, daß es nur ein grober Fluch sein konnte. »In wenigen Augenblicken ist der Treibstoff der Plattform erschöpft«, rief er verzweifelt. »Ich muß die Plattform lösen von der Raketenstufe und sie abbremsen mit den letzten Tropfen, damit sie uns nicht auch noch trifft!«
Seine Händen huschten über Tasten, Hebel und Regler. Auf dem Radarschirm konnten wir verfolgen, wie sich die beiden Leuchtpunkte voneinander lösten und der eine der beiden zurückblieb.
»Kommandant«, mahnte Tanaka, »wir sollten jetzt Raumanzüge anlegen.«
»Ja«, nickte Moriyama verdrossen.
»Abstand – drei Kilometer«, meldete Yoshiko und fügte unsicher hinzu: »Wird langsamer!«
Unsere Köpfe ruckten herum wie von einem unsichtbaren Puppenspieler an unsichtbaren Fäden gezogen.
»Langsamer?« vergewisserte sich Moriyama.
»Ja. Die Raketenstufe verzögert mit einem zwanzigstel Meter je Sekundenquadrat«, las Yoshiko aus der Computeranzeige ab. »Etwas weniger – 0,048.«
»Reicht das?«
Der Computer nahm die Antwort vorweg. Die vorausberechnete Flugbahn zielte zwar immer noch auf das Zentrum des Radarschirms, aber sie endete kurz davor.
»Ja. Wenn sie konstant weiter verzögert, wird sie zum Stillstand kommen, ehe sie uns erreicht.«
Es waren qualvolle Minuten, während derer wir auf den Radarschirm und auf die Anzeigen des Raumüberwachungscomputers starrten, auf unerträglich langsam fallende Zahlen, auf unsagbar zäh absinkende Kurven, auf einen blaß schimmernden Fleck, der langsamer und langsamer wurde und doch nicht zum Stillstand kommen wollte.
»Abstand zweitausend Meter. Geschwindigkeit noch achtundvierzig Stundenkilometer.«
Tanaka zischelte nervös durch die geschlossenen Zähne. »Sie scheinen es doch noch gemerkt zu haben.«
»Das glaube ich nicht«, meinte Moriyama und warf einen prüfenden Blick hinüber zum Kommunikationspult. Der Zähler der eingegangenen und aufgezeichneten Funksprüche stand seit der letzten ESA-Durchsage unverändert. »Womöglich sind das nur Versuche, den Satelliten doch noch auf seine vorgesehene Bahn zu bringen.«
»Abstand eintausendfünfhundert Meter. Geschwindigkeit noch zweiundvierzig Stundenkilometer.«
Kim schüttelte langsam den Kopf. Sein Lächeln war verschwunden; in seinem Gesicht stand nur noch das nackte Entsetzen. »Das reicht nicht…«, flüsterte er.
Je langsamer die ARIANE-Stufe wurde, desto zäher verlief das Abbremsmanöver.
»Sollte die Stufe aufhören abzubremsen, verläßt jeder sofort die Brücke und legt einen Raumanzug an«, verfügte Moriyama. »Abstand tausend Meter. Geschwindigkeit noch dreiunddreißig Stundenkilometer.«
»Mittlerweile ist das Ding so langsam, daß es uns kaum noch Schaden zufügen kann«, überlegte Tanaka.
»Vorausgesetzt«, überlegte Moriyama halblaut, »daß es denen nicht plötzlich einfällt, Vollschub zu geben.«
Jemand schaltete die Außenkameras ein und gab ihr Bild auf den großen Schirm, den normalerweise die Weltkarte zierte. Mit viel Phantasie erkannte man bereits ein ungefähr zylinderförmiges Gebilde, an dem die Flammenstrahlen kleiner Triebwerke arbeiteten.
»Diese ESA-Leute werden was von mir zu hören kriegen«, grollte Moriyama. »Sobald ich wieder ein Funkgerät habe, mach ich sie rund. Keiner von denen, die jetzt gerade in Kourou sitzen, wird jemals wieder eine Rakete aus der Nähe zu sehen bekommen.«
Je näher die ARIANE-Stufe kam, desto deutlicher wurde das Bild. Ich glaubte eine dritte Stufe des Typs Hio zu erkennen, die stärkste und schwerste Oberstufe, die die Europäer besaßen: mit Flüssigwasserstoff und Flüssigsauerstoff angetrieben, war sie in der Lage, bis zu acht Tonnen Nutzlast in einen geostationären Orbit zu bringen, das heißt in eine Umlaufbahn von 36.000 Kilometern Höhe. Allmählich erkannte man das Emblem der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA und verschiedene Aufschriften. Die Stufe
Weitere Kostenlose Bücher