Solarstation
trug eine ungewöhnlich langgezogene Nutzlastspitze, ein kegelförmiges Schutzblech, unter dem der eigentliche Satellit sitzen mußte.
Und dann endlich, nach einer schier endlosen Zeit, die erlösende Meldung »Stillstand. Distanz – achtundneunzig Meter.«
Diesmal gab es kein Freudengeheul, nur stille Erleichterung. Ich schloß die Augen und wünschte mir die Ruhe der Wochen zurück, in denen ich geglaubt hatte, unter Langeweile zu leiden. Irgend jemand murmelte leise japanische Worte, die wie ein Dankgebet an die Ahnen klangen.
Ich öffnete die Augen gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie die Nutzlastverkleidung abgesprengt wurde. Es gab ein kleines Aufblitzen und ein wenig weißen Rauch, dann trieben drei schalenförmige Teile davon wie die Blätter einer verblühten Blume, die jemand geschüttelt hatte. Ein dunkler, häßlicher Zylinder kam darunter zum Vorschein.
Yoshikos Aufschrei zerriß die Ruhe, die gerade einkehren wollte. »Der Satellit setzt sich wieder in Bewegung!«
Moriyama schoß heran, sah ihr über die Schulter auf den Hauptradarschirm und krallte seine Hand in ihre Schulter, ohne sich dessen bewußt zu werden.
»Ja, sind die denn jetzt vollkommen verrückt geworden…?« Der Satellit kam langsam, aber stetig auf uns zu. Ich starrte auf den großen Bildschirm und konnte kaum glauben, was ich sah. Ich beugte mich vor und schaute genauer hin. Kein Zweifel, an der Spitze des Satelliten – oder was immer es sein mochte – erkannte man die dreiflügligen, unverkennbaren Umrisse einer international genormten Kopplungsvorrichtung. Und das Ding hielt genau auf unsere Hauptandockschleuse zu.
»Die wollen andocken!« entfuhr es mir. »Das ist ein Rendezvous-Manöver!«
»Was reden Sie da, Carr?« fauchte Moriyama.
»Das ist kein Satellit, Sir«, beharrte ich. »Ich wette zehn zu eins, daß das ein bemanntes Raumfahrzeug ist.«
»Ein bemanntes Raumfahrzeug der Europäer? Aber die Europäer haben keine bemannten Raumfahrzeuge.«
»Jetzt haben sie eins.«
»Und warum versuchen sie einfach hier anzudocken, ohne uns etwas davon zu sagen?«
Zwei geschichtsträchtige Ereignisse an einem Tag. Es war kaum auszuhalten.
»Weil das«, sagte ich dumpf, »ein Überfall ist.«
KAPITEL 16
Vierhundert Kilometer über der Erdoberfläche, hoch über irgendeinem Punkt des Globus, der gerade den Sonnenaufgang erlebte, schwebte eine riesige, mattsilbern glänzende Scheibe, deren Mittelpunkt eine vergleichsweise kleine Konstruktion aus einem Dutzend weißlackierter und mit Aufschriften in Japanisch und Englisch versehener Zylinder bildete. An einem dünnen Auslegerarm, der für Augen, die nur irdische Verhältnisse gewöhnt waren, geradezu lächerlich zerbrechlich wirken mußte, hing eine mannshohe japanische Flagge, die ja passenderweise den roten Ball der aufgehenden Sonne auf weißem Grund zeigt. Sie wurde von einem dünnen Glasfiberstab in Form gehalten, denn hier oben in der Erdumlaufbahn gab es keinen Wind, in dem sie hätte flattern können. Vor der Spitze des senkrecht zu der großen Scheibe stehenden Zylinders schwebte ein dunkler, seltsam roh und unfertig wirkender Zylinder, der unmerklich näher und näher glitt und dabei mit seinem dreiflügligen, wie ein obszöner Saugmund aussehenden Kopplungsmechanismus auf das entsprechende Gegenstück an der Station zielte. Ein außenstehender Beobachter hätte den Eindruck gehabt, eine schwarze Qualle zu sehen, die über einen weißen Seestern herfiel, um ihn auszusaugen.
Aber es gab keinen außenstehenden Beobachter dieser Szene. Niemand auf dem sich in unglaublicher blau-weißer Pracht unter uns wölbenden Erdball ahnte etwas von dem, was hier vorging.
»Das ist Piraterie«, stellte Moriyama erbittert fest. »Piraterie im Weltraum.«
»In letzter Zeit greift es wirklich um sich«, murmelte ich geistesabwesend vor mich hin. Kurz vor meinem Dienstantritt auf der Raumstation hatte ich eine Statistik gelesen, wonach sich in den ersten fünf Jahren dieses einundzwanzigsten Jahrhunderts bereits mehr Fälle von Piraterie ereignet hatten als in den gesamten vorangegangenen hundert Jahren. Allerdings vorwiegend im Südchinesischen Meer, in der Karibik und entlang der Seerouten durch die pazifische Inselwelt.
Ich starrte unzufrieden auf den Bildschirm. Da war irgend etwas, das ich übersehen hatte. Etwas Wichtiges. Ich spürte einen blinden Fleck in meinem Kopf, den meine Gedanken unaufhörlich umkreisten wie die Zunge ein Loch im Zahn. »Yoshiko, geben die
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