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Solarstation

Titel: Solarstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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recht. Moriyama hatte recht. Der letzte Versorgungsflug war alles andere als glatt verlaufen. Die Piloten hatten eine komplette Versuchseinrichtung vergessen auszuladen, und statt einer Kiste mit Pflanzenproben, die von Universitäten in aller Welt sehnsüchtig erwartet worden waren, hatten sie die Kiste mitgenommen, in der wir unsere MMUs verstaut hatten, unsere man manoeuvring units. Natürlich waren die Pflanzen inzwischen verdorben. Außerdem hatten sie die Hälfte des Abfalls dagelassen. Und eine Reihe von dringend benötigten Dingen – wie Pfeffer, Flüssigseife, Waschpulver, Aktivkohle – überhaupt nicht mitgebracht. Und so weiter. Unter Garantie würde kein Shuttle starten, ohne daß vorher ein geradezu generalstabsmäßiger Ladeplan besprochen wurde. Mit mir. Mir wurde flau im Magen.
    »Was schlagen Sie vor, daß ich sage, wenn es soweit ist?« fragte ich gefaßt.
    »Ich weiß nicht. Stellen Sie irgendwelche absurden Forderungen. Fangen Sie Streit an. Irgend so etwas. Etwas, das die unten zumindest glauben läßt, wir hätten den Verstand verloren.«
    »Sakai wird dabeisein. Die anderen können nicht beurteilen, ob ich Unsinn rede, aber er kann es.«
    »Hai«, nickte Moriyama schwer. Er sah mich einen unerträglich stillen Moment lang an, als suche er nach Worten, dann sagte er leise und wie unter Schmerzen: »Leonard – ich verlange nichts von Ihnen, was ich nicht selbst zu tun bereit wäre. Nicht einmal das verlange ich von Ihnen. Aber es geht um die Solarstation. Es geht um weit mehr als unser Leben.«
    Eine halbe Stunde später kamen sie, um Kommandant Moriyama und mich abzuholen.

KAPITEL 21
    Ralfs Bewegungen waren fahrig und unkoordiniert; er verfehlte öfter einen Haltegriff und wirkte in seiner desolaten Verfassung nur um so gefährlicher, geradezu unberechenbar. Ich musterte ihn möglichst unauffällig von der Seite. Auf seiner Stirn glänzte Schweiß, und sein Gesicht war, wenn das überhaupt möglich war, noch fahler geworden, als es ohnehin schon war. Raumkrankheit, ganz klar. Mediziner sprachen von Raumadaptationssyndrom oder kurz SAS , ein Krankheitsbild, das große Ähnlichkeit mit der Seekrankheit hatte. Und genau wie bei der Seekrankheit befiel es wahllos den einen, während es den anderen ungeschoren ließ. Es war Veranlagungssache, und Ralfs Veranlagungen, ohnehin offenbar nicht die vorteilhaftesten, hatten ihn auch hier den kürzeren ziehen lassen. Man vermutete, daß die Raumkrankheit dadurch hervorgerufen wurde, daß dem Gleichgewichtssinn des Innenohrs plötzlich die von der normalen Schwerkraft ausgehenden Impulse fehlten, während die Orientierung über die Drehbewegungen natürlich ganz normal vorhanden war. Es schien, daß das Gehirn mit dieser widersprüchlichen Situation erst umzugehen lernen mußte. Normalerweise verschwand das Raumadaptationsyndrom, unter dem auch namhafte Astronauten gelitten hatten, nach drei bis fünf Tagen.
    Das behielt ich natürlich alles für mich. Im stillen hatte ich ja die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß in drei bis fünf Tagen Ralf selber verschwunden sein würde.
    Das Schott zum Wohnmodul hatte sich gerade hinter uns geschlossen, als er plötzlich herumfuhr wie von der Tarantel gestochen und wild mit dem Revolver nach unten fuchtelte. »Da war jemand«, keuchte er irre. »Ich habe eine Bewegung gesehen. Dort irgendwo.«
    »Da ist niemand«, versuchte Sakai beruhigend auf ihn einzureden. Aber ich sah ihm an, daß er selber nervös war; alle Japaner erschraken unwillkürlich, wenn man sich in ihrer Gegenwart heftig und mit ausladenden Bewegungen bewegte, und Ralfs Motorik war inzwischen schon so extrem, daß sie auch jeden Westler hätte zusammenzucken lassen.
    Der ausgezehrt und fiebrig wirkende Gangster starrte eine Weile in den Knotentunnel hinab und bewegte dabei den Kopf hin und her, als versuche er um irgendwelche nicht vorhandenen Ecken zu spähen. Sakai, Moriyama und ich verharrten reglos. Dann schien er sich davon überzeugt zu haben, daß niemand da war, und wandte sich wieder uns zu.
    »Los«, sagte er und machte eine Bewegung mit seinem Revolver, als sei er eine Rute und ich ein dummes Schaf, das er antreiben mußte. »Auf die Brücke, Yankee.«
    Auf der Brücke hatten die Gangster aus irgendeinem Grund die Beleuchtung gedämpft, so daß man auf den ersten Blick den Eindruck hatte, sich in einem U-Boot auf Tauchstation zu befinden. Khalid stand neben dem Kommunikationspult, die Füße in den Halteschlaufen am Boden eingehakt, und

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