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Solarstation

Titel: Solarstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Dann, als ich allmählich wieder etwas sehen konnte, begann ich, mich aus der engen Schleusenröhre herauszuarbeiten.
    Das erste, was mich erwartete, war Spiderman, der sich immer noch mit allen seinen Greifbeinen um das Stahlseil krallte und regungslos verharrte. Nur seine beweglichen optischen Sensoren folgten meinen Bewegungen mit einer Neugier, die mich an einen kleinen Hund denken ließ und die unter anderen Umständen komisch gewirkt hätte. »Ping!« hörte ich sein Bereitschaftszeichen in meinen Kopfhörern.
    Wir überquerten gerade den Golf von Oman. Das hieß, noch eine Erdumkreisung bis Mekka. Die Solarstation bewegte sich gerade nordwärts auf ihrer Bahn von Pol zu Pol, die uns ständig entlang des Sonnenauf- oder -untergangs über den Erdball führte. Wir würden als nächstes das Hochland überqueren, das sich zwischen dem Himalaya und den anatolischen Bergen erstreckte, dann den Ural der Länge nach, die Arktis, den Pazifik, um schließlich von der Antarktis her Madagaskar zu überfliegen, dann Ostafrika, das Rote Meer, Mekka. Und das alles würde kaum anderthalb Stunden dauern.
    Ich sondierte die Lage, so gut es ging, und begann allmählich zu ahnen, worauf ich mich eingelassen hatte. Das Seil, das die Raumkapsel mit der Station verband, war schätzungsweise zwanzig Meter lang. Zwanzig Meter fingerdünnes Kabel durch das absolute Nichts, ringsum unermeßliche Weite und vierhundert Kilometer unter mir das Arabische Meer. Eine Vorstellung, die einen Raumfahrer nicht hätte erschrecken dürfen, gewiß, aber mich erschreckte sie trotzdem. Zu allem Überfluß hockte dieses riesige Robotervieh mitten auf dem schlaffen Drahtseil und versperrte mir den Weg. Das war zum Glück kein großes Problem, denn ich konnte Spiderman ja jederzeit wegschicken. Blieben die zwanzig Meter Distanz zur Hauptschleuse und die Frage, wie ich überhaupt an Bord kommen sollte. Die Hauptschleuse schied von vornherein aus. Das Öffnen der Hauptschleuse löste in der Kommandozentrale automatisch einen akustischen Alarmton aus, und falls Khalid und seine Spießgesellen nicht längst hinter der verspiegelten Sichtscheibe der Greifarmsteuerung standen und beobachteten, was hier vor sich ging, würden sie spätestens dann unmißverständlich auf mich aufmerksam werden.
    Aus unerfindlichen Gründen hatten die Konstrukteure der Solarstation jedoch nur die Hauptschleuse mit einer solchen Alarmanlage versehen, die anderen Schleusen jedoch nicht. Diese waren zwar an die Computerkontrolle angeschlossen, selbstverständlich, aber der Computer begnügte sich damit, ihr Öffnen und Schließen in einer Art Logbuch aufzuzeichnen, das man bei Bedarf einsehen konnte. Ich mußte darauf bauen, daß die Piraten im Augenblick andere Sorgen hatten, als dieses Log, das ja nur eines von unzähligen Protokollen der Computerüberwachung war, im Auge zu behalten.
    Das hieß also, daß ich die Ladeschleuse erreichen mußte, die sich an der Stirnseite des Mikrogravitationslabors befand. Ich sondierte den Weg, und ich kann nicht behaupten, daß es mich begeisterte, was ich sah. Zuerst war Spiderman zu umrunden – das kleinste Problem. Dann konnte ich Hand über Hand am Seil entlang die Hauptschleuse erreichen. Auch das sah machbar aus, sogar in diesem klobigen Anzug. Aber dann galt es, sich von einem der nicht gerade übermäßig dicht verteilten Haltegriffe auf der Außenhaut der Station zum nächsten weiterzutasten, den Tunnel hinab bis zur zweiten Ebene und dann bis ans Ende des Mikrogravitationslabors. Eine Art Freeclimbing in der Schwerelosigkeit. Und das, während ich mich gerade ungefähr so graziös bewegte wie das alte Michelin-Männchen. Es war der helle Wahnsinn. Ich würde es nicht schaffen. Ich würde irgendwann auf halbem Wege den einen Haltegriff verlieren und den nächsten nicht erwischen und dann laut schreiend in die Unendlichkeit davondriften.
    Andererseits erleichtert es Entscheidungen außerordentlich, wenn man keine Alternativen hat. Ich zwängte mich also vollends aus der Schleuse heraus, packte das Drahtseil mit beiden Händen und einem Griff, der sich so fest anfühlte, als faßte ich in einen Badeschwamm, und dann hing ich da in der Unendlichkeit und war schon schweißgebadet. Spiderman beobachtete meine unbeholfenen Turnübungen mit seinen beiden Kameraaugen, und ich hätte schwören können, daß sein Ping diesmal regelrecht spöttisch klang.
    Spiderman. Moment mal. Wenn es jemanden gab, der sich auf der Solarstation mit

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