Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
ich finde stets eine Ausrede, nicht dabei zu sein. Als wir zu einem ersten Einsatz nach Kabul gerufen werden, bleibe ich mit Idor im Transportpanzer, während nach einem IED gesucht wird.
Man findet eine kleine Granate, an der auch noch das Leitwerk befestigt ist. Ich schaue aus der Luke des Panzers und soll die Granate entgegennehmen. Schlagartig bekomme ich Flashbacks und bin mit meinen Gedanken wieder im Einsatz 2002 an der Unglücksstelle. Mir fällt es schwer, meine Arme zu koordinieren. Mein Vertrauen in das angeblich sichere Material ist unwiederbringlich zerstört. Was mir Vorgesetzte dazu sagen, interessiert mich nicht mehr. Für mich zählt nur noch das eigene Bauchgefühl, das mir am 6. März 2002 das Leben rettete.
Der Oberfeldwebel bemerkt meine Anspannung und versichert mir mehrmals, dass rein gar nichts passieren könne und ich auch keine Angst haben müsse. Mir läuft der Schweiß übers Gesicht und ich bekomme höllische Angst. Schließlich zwinge ich mich, nach der Granate zu greifen. Mit beiden Händen halte ich sie fest und lege sie vorsichtig, wie ein rohes Ei, im TPZ ab. Dort finde ich noch zwei Splitterschutzwesten, die ich auf die Granate lege. Zurück im Lager springe ich sofort aus dem Fahrzeug. Mit der Ausrede, Idor versorgen und dann gleich dringend mit Kunz sprechen zu müssen, haue ich einfach ab und kümmere mich nicht mehr darum, was mit der Granate weiter passiert. Ich bin fix und fertig und gehe in die Betreuungseinrichtung »Dropzone«.
Der Schrecken dieses Einsatzes sitzt mir noch lange in den Knochen. Erst eine Mission ohne Idor bringt mich auf andere Gedanken. Der Hauptmann des EOD befragt mich nach meinen speziellen infanteristischen Fähigkeiten. Ich zähle ihm auf, welche Lehrgänge ich besucht habe, und als ich meinen Combat Survival Course sowie den französischen Kommandolehrgang erwähne, reicht ihm dies, um mich für die Teilnahme an einer besonderen Mission einzuplanen.
Ich erfahre, dass eine Boeing 737-200, aus Herat in Richtung Kabul kommend, irgendwo in den Bergen des Hindukusch abgestürzt ist. Die afghanische Nationalarmee versuchte, sich bis zum Flugzeugwrack durchzuschlagen, einige Soldaten hatten nicht einmal Kampfstiefel und marschierten mit Badelatschen ins verschneite Gebirge. Als dann einige bei dem Versuch, in das Hochplateau vorzudringen, abstürzten, wurde die Rettungsaktion abgebrochen. Am Flughafen in Kabul warteten viele Menschen vergeblich auf Informationen, ob ihre Familienmitglieder noch am Leben sind. Einige riefen ihre Angehörigen, die in der Unglücksmaschine saßen, per Handy an, dann brach am Flughafen ein Tumult aus, als statt der Angehörigen Fremde rangingen. Die NATO musste die Rettungsaktion übernehmen und eigene Truppenteile zur Absturzstelle hochbringen, in der Hoffnung, noch Überlebende zu finden. Der Hauptmann meint nun, dass ich mich im besonderen Maße dazu eigne, im Fall eines Angriffs der Taliban die Sicherung unserer Leute zu unterstützen. Kunz lässt es sich nicht nehmen, an dieser Mission teilzunehmen. Limmann versorgt derweil unsere Hunde.
Wir bekommen den Auftrag, an der Absturzstelle einen »helipat«, einen improvisierten Hubschrauberlandeplatz, vorzubereiten, damit die 104 Leichen, von denen man ausgeht, geborgen werden können. Wir packen zusätzliche Munition, EPa, wasser- und winterfeste Ausrüstung in unsere Rucksäcke. Dann heißt es warten. Am frühen Morgen des folgenden Tages machen wir uns auf den Weg zum Hubschrauberlandeplatz im Camp Warehouse. Mit dabei sind zwei Sprengstoffexperten vom EOD und zwei Infanteristen, die als Combat-Medic ausgebildet sind. Die beiden Infanteristen kenne ich von unserem Kommandolehrgang bei der französischen Armee. Wir freuen uns darüber, dass wir uns wiedersehen. Schon von Weitem hören wir die Hubschrauber, die im Tiefflug schnell näherkommen. Es sind zwei Black Hawks, die uns ins Gebirge bringen.
Im Hubschrauber empfängt uns der Doorgunner und informiert uns darüber, dass wir im amerikanischen Camp noch Soldaten der 10th Mountain Division abholen müssen. Neben uns sitzen wortlos zwei zivil gekleidete Personen, ich nehme an, dass sie vom Geheimdienst sind. Ich genieße den Ausblick über die vielen Dörfer. Der Doorgunner sieht weniger entspannt aus und hält die Augen nach möglichen Angreifern offen. Ich merke, wie mein Adrenalinspiegel steigt, denn ich habe überhaupt keine Ahnung, was mich gleich erwartet. Wir nähern uns sehr schnell den schneebedeckten
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