Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Gebirgszügen. Die Black Hawks müssen merklich höher steigen. Dann signalisiert uns ein lautes Piepen, dass wir den Hubschrauber verlassen sollen. Zusätzlich dreht sich einer der Piloten zu uns um und brüllt: »You must jump!«
Da die Black Hawk zu schwer ist, um noch höher zu steigen, müssen wir den Helipat um einiges unterhalb des abgestürzten Flugzeuges errichten. Der Hubschrauber schwebt instabil über dem Hochplateau. Um die Höhe einigermaßen einschätzen zu können, werfe ich zuerst meinen Rucksack hinab, um zu sehen, wie tief er fällt. Dann springe ich mit meinem G36Sturmgewehr am ausgestreckten Arm die 3bis 4Meter hinterher. Nach der Landung gehe ich sofort in den Anschlag und sichere die anderen Kameraden, die mir nun folgen. Auch aus der zweiten Black Hawk springen die Soldaten heraus und sammeln sich an einem Punkt. Der Schnee ist nicht tief, sodass wir uns alle relativ normal vorwärtsbewegen können. Nachdem die Hubschrauber weggeflogen sind, herrscht eine einsame Stille.
Nach einem kurzen Überblick über unsere Ressourcen beginnen wir, mit unseren Klappspaten den Schnee aufzulockern, um den Hubschrauberlandeplatz vorzubereiten. Bereits nach wenigen Minuten muss ich feststellen, dass ich die Arbeit auf 3800 Höhenmetern nicht gewohnt bin. Immer wieder muss ich wie meine Kameraden auch eine Atempause machen. Nachdem wir unseren Auftrag erledigt haben, holt uns eine britische Puma aus dieser unwirtlichen Gegend heraus. Dass wir Deutschen bei diesem Einsatz nicht über genügend eigene Transportmittel verfügen, finde ich etwas beschämend.
Es stellt sich heraus, dass die schlimmsten Befürchtungen berechtigt waren und alle 104 Passagiere ums Leben gekommen sind. Bei der eisigen Kälte und der Dauer des Bergungsversuchs haben sicher selbst diejenigen, die den Absturz überlebten, nicht einmal die erste Nacht überstanden. Unter ihnen waren Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen, die hier jäh ihr Ende fanden.
Einige Monate später – ich bin längst wieder aus dem Einsatz zurück und befinde mich in der Kaserne – ist Idor besonders unruhig und läuft zwischen meinen Beinen umher. Damit macht er mich noch nervöser, als ich in letzter Zeit ohnehin schon bin. Daher packe ich meinen Hund am Nacken und an der Kruppe, um ihn auf seine Hundedecke zu befördern. Idor jault auf und schnappt blitzartig nach meinem linken Handgelenk. Das ist mir eine Warnung. Ich bin erschrocken darüber, dass ich Idor so unsanft behandelt habe. Ich verstehe mich selbst nicht mehr. Wie konnte ich dermaßen die Kontrolle verlieren und meinen Hund so harsch angehen?
Dass Idor mich mit einem warnenden Biss in die Schranken gewiesen hat, ist ein deutliches Zeichen. Ein Wolf in freier Wildbahn würde bei einer geklärten Rangordnung niemals grundlos nach seinem Leitwolf schnappen – höchstens wenn er sich aus Selbsterhaltungstrieb gegen ein möglicherweise krank gewordenes Leittier verteidigen müsste. Es tut mir unendlich leid und ich habe ein sehr schlechtes Gewissen. Mir wird dadurch besonders bewusst, dass ich krank bin und daher so unkontrolliert handele. Idor verzeiht mir aber noch an diesem Abend und legt sich zu mir ins Bett. Zum ersten Mal muss ich richtig weinen und kann mich kaum beruhigen. Ich liege allein auf meiner Stube und kann mit niemandem reden. Idor kuschelt sich vom Fußende zu mir herauf und liegt mit seiner Schnauze auf meinem Brustkorb. Er schenkt mir unendlich viel Vertrauen und Liebe. Ich empfinde eine riesige Dankbarkeit für diese Freundschaft.
Inzwischen sehe ich im Diensthundezug keine Perspektive mehr für mich. Stattdessen will ich mich für das Kommando Spezialkräfte bewerben. Dazu darf ich aber keinerlei relevante körperliche Einschränkung haben. Ich bitte Oberfeldarzt Pellnitz darum, mich offiziell gesundzuschreiben. Er möchte mir den Weg zu meinem Lebenstraum, bei dieser Eliteeinheit aufgenommen und dadurch zum Berufssoldaten zu werden, nicht verbauen. Daher willigt er schließlich ein, meine Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 30 Prozent zu beurteilen. Er sagt mir aber auch, dass es zwar ein Leichtes sei, aus meiner anfänglich zuerkannten Schädigung von 70 Prozent eine Schädigung von 40 Prozent oder 30 Prozent zu machen, es andersherum aber erheblich schwieriger sein würde. Da er mich eindeutig für traumatisiert hält, weigert er sich strikt, mich komplett gesund und einsatzfähig zu schreiben. Die Anerkennung meiner Wehrdienstbeschädigung ist mir zu diesem
Weitere Kostenlose Bücher