Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Zeitpunkt gleichgültig. Erst später erkenne ich, dass ich einen großen Fehler gemacht habe.
Schritt für Schritt komme ich meinem Ziel näher, im KSK unter Gleichgesinnten auf höchstem Niveau meinem Beruf nachgehen zu können. Einen wesentlichen Teil der Aufnahmebedingungen hatte ich bereits im Dezember 2004 gemeinsam mit Lancer hinter mich gebracht. Der mehrwöchige Combat Survival Course unter der Leitung amerikanischer Special Forces ist das härteste Training meiner gesamten Dienstzeit gewesen. Spezialkräfte aus allen NATO-Staaten werden durch diesen Lehrgang auf das Überleben unter Bedingungen einer Kriegsgefangenschaft gedrillt. Die Prüfungen, die mir jetzt bevorstehen, erscheinen mir dagegen eine reine Willensfrage zu sein. Je weiter ich jedoch komme, umso mehr zweifle ich an meiner Entscheidung, meinen noch zwei bis drei Jahre dienstfähigen Hund Idor an einen Kameraden der Kampfmittelspürhundgruppe abzugeben und mich auf ein Leben als Berufssoldat einzustellen. Bei der Abschlussprüfung fallen für mich die Würfel. Ich gebe meine »Arschkarte«, eine Karte, mit der man signalisiert, dass man aufgibt, bei einem Ausbilder ab. Erleichtert mache ich mich auf den Rückweg zum K9-Zug, wo ich meinen freudig an mir hochspringenden Idor aus dem Zwinger hole und mit ihm einen langen Spaziergang mache.
Meine Tante aus Berlin ruft mich an und bittet mich, bei einer von ihr veranstalteten öffentlichen Lesung von Günter Grass für die Sicherheit zu sorgen. Ihre Buchhandlung ist in Berliner Literaturkreisen bekannt. Dadurch wird es ihr gelungen sein, diesen herausragenden deutschen Schriftsteller einzuladen. Er wird Auszüge aus seinem neuen Buch »Beim Häuten der Zwiebel« vorstellen. Im Anschluss will man den Gästen die Gelegenheit geben, sich ihre Bücher von ihm signieren zu lassen. Als sie erklärt, dass die Lesung in einer Kirche stattfinden wird und alle 450 Karten bereits verkauft sind, sage ich ihr, dass ich jemanden zur Unterstützung mitbringen möchte. Ich bitte meinen Buddy darum, mich nach Berlin zu begleiten. Meine Tante ist erfreut, Lancer endlich einmal persönlich kennenzulernen, da sie bereits von meiner Mutter einiges über ihn gehört hat.
Direkt nach unserer Ankunft helfen Lancer und ich meiner Tante noch dabei, kistenweise Bücher von der Buchhandlung zur Kirche zu bringen. Ihre Tochter nimmt uns dort in Empfang und koordiniert den Aufbau. Wir haben danach gerade einmal 30 Minuten Zeit, bevor der Einlass beginnt. Ganz systematisch überprüfen wir die Notausgänge, melden uns bei der nächstgelegenen Polizeiwache und bitten um eine Durchwahlnummer für den Fall, dass es zu Komplikationen kommt. Eine Inspektion des Innen- und Außenraums gehört für uns ebenfalls zur Routine. Dabei finden wir kleine Pflastersteine hinter einem Baum aufgetürmt. Lancer erklärt mir mit einem Augenzwinkern, dass man sich in Hamburg so auf Demonstrationen vorbereite. Das Buch von Günter Grass ist bereits im Vorfeld sehr kontrovers diskutiert worden, weil er darin erstmals öffentlich bekennt, als Jugendlicher einer Einheit der Waffen-SS angehört zu haben. Nun sieht er sich etlichen Anfeindungen ausgesetzt. Ich male mir ein Worst-Case-Szenario aus, bei dem wir uns in der Kirche verbarrikadieren müssen, während draußen ein Mob vermummter Demonstranten durchdreht.
Wir sind mit unseren Vorbereitungen gerade fertig, als schon der Einlass beginnt. Lancer und ich stehen in einem Vorraum am Haupteingang der Kirche. Hinter uns führt eine gläserne Doppeltür in das Hauptschiff. Etliche Leute warten schon seit fast einer Stunde in der Winterkälte. Sie sind ungeduldig und versuchen immer wieder, durch die Tür zu gelangen, um sich einen guten Sitzplatz zu sichern. Als wir pünktlich die Kirchenpforten aufgleiten lassen, sind einige Gäste von unserem Anblick sichtlich irritiert, sie haben wohl eher mit einer tüdeligen Dame mit Lesebrille auf der Nase gerechnet. Meiner Tante zuliebe haben wir uns um ein besonders gepflegtes Erscheinungsbild bemüht und die der militärischen Zweckmäßigkeit nachempfundenen Cargohosen und Fleecejacken, die wir in unserer Freizeit tragen, gegen einen dunklen Anzug ausgetauscht. Lancer hat sich eine Strickmütze aufgesetzt, um die kurz geschorenen Haare, die wir seit der Grundausbildung aus praktischen Erwägungen tragen, zu bedecken. Viele wollen uns beim Einlass ihre Eintrittskarte nicht zeigen und behaupten, persönliche Freunde von Herrn Grass zu sein. Ich bleibe
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