Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
geben muss, die sich rechtzeitig um die Soldaten kümmern und ihnen mit gutem Rat zur Seite stehen, schon bevor sie in eine heikle Lage geraten. Die Deutsche Kriegsopferfürsorge etwa bietet Hilfesuchenden eine zielgerichtete persönliche Unterstützung durch Fallmanager, oft einfach nur Lotsen genannt, kostenlos an. Derzeit muss sich jeder versehrte Soldat selbst um seine Versorgung kümmern. Natürlich gibt es den Sozialdienst der Bundeswehr, doch ist das Engagement und das Wissen darüber, wie man den Betroffenen hilft, sehr vom jeweiligen Standort und Sachbearbeiter abhängig. Gerne wird in solchen Einrichtungen stolz verkündet, dass ein schwer traumatisierter Afghanistanveteran, der wie ich den Reservistenstatus hat, kürzlich im Zentrum Innere Führung angestellt wurde und ihm somit Hilfe zuteilwurde. (Einige Zeit später erfahre ich aber, dass bei dem Kameraden die Anerkennung der Wehrdienstbeschädigung noch gar nicht abgeschlossen ist.) Da muss ich an meine Bitte um eine Härtefallregelung denken und erkenne, dass bei anderen offenbar möglich ist, was mir vorenthalten wurde, das empfinde ich als ungerecht. Am Ende der Veranstaltung bin ich auf der Heimfahrt wieder einmal frustriert und emotional aufgeladen.
Mit jedem Tag steigt meine Wut darüber, dass ich von der Bundeswehrführung für dumm verkauft und hingehalten werde. Ein Treffen im November 2010 mit der Bundestagsabgeordneten Elke Hoff, die extra nach Stade kommt und sich mit Einsatzveteranen zusammensetzt, bringt ebenfalls keine kurzfristige Lösung meiner Probleme. Bei diesem Treffen sind auch die beiden Mitarbeiter des Sozialdienstes des Standorts Seedorf dabei. Ich habe sie eingeladen, die Schwierigkeiten aus ihrer Sicht darzustellen. Wir erfahren, dass diese zwei Mitarbeiter für den gesamten Standort Seedorf und Rothenburg, also für insgesamt 10000 aktive Soldaten zuständig sind. Eine intensive und individuelle Sozialarbeit ist somit ausgeschlossen. Bei diesem Gespräch stellt sich erneut heraus, wie wichtig es ist, Fallmanager einzusetzen, die sich der Versehrten individuell annehmen. Wir empfehlen einen Versehrtenbeauftragten am Standort für Soldaten mit häufiger Einsatzbelastung. Die Sozialdienstmitarbeiter dagegen plädieren dafür, einfach mehr Stellen in ihrem Bereich zu schaffen, dann hätte sich das Problem ihrer Ansicht nach erledigt. Dennoch kommen wir auf einen gemeinsamen Nenner. Wir sind uns nämlich darin einig, dass die Neuregelung des Soldatenversorgungsgesetzes schnellstmöglich umgesetzt werden muss, damit die, die jetzt verwundet aus dem Einsatz kommen, eine bessere Versorgung erhalten, als es momentan der Fall ist.
Meine Brigade war in Afghanistan in das Feuergefecht verwickelt, das sich am Karfreitag 2010 in der Region Kunduz ereignete. Meine Kompanie hat an diesem Tag auch einen Kameraden verloren. Warum reagiert man nicht auf die neue Situation, in der meine Soldatengeneration ist? Wie sollen denn zwei Sozialarbeiter 10000 aktive Soldaten betreuen? Was ist, wenn einer in den Urlaub geht oder krank wird?
Ein enger Freund, den ich im Juli 2010 in seinen ersten Afghanistaneinsatz verabschiede, kommt nach nur wenigen Monaten schwer verwundet zurück. Es gestaltet sich trotz intensiver Bemühungen der Sozialdienstmitarbeiterin, des Wehrbeauftragten, des Bundeswehrverbandes und des PTBS-Beauftragten General Munzlinger schwierig, dem Kameraden bei der Finanzierung des behindertengerechten Umbaus seines Autos zu helfen. Da er ebenfalls in Stade lebt, treffen wir uns regelmäßig. Auch seine Wehrdienstbeschädigung ist nach zehn Monaten noch nicht anerkannt. Ich merke, wie frustriert er ist, weil er immer wieder an die Hürden der Bürokratie stößt. Er durchlebt dieselbe Enttäuschung wie ich, die gleichen ständigen Ablehnungen und langen Wartezeiten, und das macht mich wütend.
Dass bei der Rückführung meines Kameraden aus dem Einsatzland die Rettungskette versagt hat und er dadurch einen größeren bleibenden Schaden davonträgt als nötig, scheint den Verantwortlichen gleichgültig zu sein. Allein Frau Hoff besucht ihn im Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz und verspricht Hilfe. Auch sie fragt sich, wie es sein kann, dass zwei im Afghanistaneinsatz schwer verwundete Soldaten in Deutschland vor der Notaufnahme warten müssen, weil die Ärzte im Bundeswehrkrankenhaus nichts von ihrer Anwesenheit erfahren haben. So etwas darf im neunten Einsatzjahr einfach nicht passieren. Und wenn es doch passiert, dann müssen die
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