Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Das ist nicht selbstverständlich, auch nicht heile Straßen, fließendes Wasser, WC und Toilettenpapier, mit 200 km/h über die Autobahn zu brettern oder auch nur auf einer unverminten grünen Wiese zu liegen oder eine Frau in den Armen zu halten. Dieses Gefühl der Überlegenheit eines Wissenden ist sehr schnell vorbei, als der Schaffner mein Abteil betritt. Bis er mich erreicht, habe ich alle Taschen meines Feldanzugs nach meiner Fahrkarte abgesucht, aber sie bleibt unauffindbar. Möglicherweise habe ich sie bei dem Gedränge im Taxi liegen lassen. Meine Beteuerung, eine Fahrkarte besessen zu haben, interessiert den Bahnangestellten so wenig wie die Tatsache, dass ich gerade von einem mehrmonatigen Bundeswehreinsatz im Kosovo heimkehre. Zum Schwarzfahrer abgestempelt, bekomme ich eine Anzeige. Die vorher desinteressierten Fahrgäste in meinem Abteil blicken mich nun missbilligend an. Als Helden haben sie mich nicht wahrgenommen, aber als Betrüger in Uniform behalten sie mich noch lange im Gedächtnis. Meine Freude auf die Heimkehr ist dahin. Die Vorschriftenhörigkeit, die hierzulande einen so hohen Stellenwert hat und etlichen Menschen als Ersatz für gesunden Menschenverstand dient, die habe ich nicht vermisst. So sehr die Korruption den Kosovo lähmt, so sehr behindert die Bürokratie die Menschen in diesem Land. Wie verhängnisvoll sich diese deutsche Eigenart noch auf mein Leben auswirken sollte, bekomme ich wenige Jahre später zu spüren.
In Buxtehude angekommen, entscheide ich mich spontan, zu Fuß nach Hause zu gehen. Natürlich wäre es mit dem schweren Seesack bequemer, ein Taxi zu nehmen. Ich will das Gefühl der Heimkehr aber so intensiv wie möglich auskosten. Es ist ernüchternd, dass die Pendler aus Hamburg keinerlei Notiz von mir nehmen, während wir in einer großen Traube vom Bahnsteig strömen. Ich bin in Uniform, aber nichts Besonderes. Mir kommt es im Gegenteil eher so vor, als wäre ich gerade wie eine Ameise von seinem Volk kommentarlos wieder eingebunden worden. Wenn das so ist, denke ich mir, dann konzentriere ich mich eben nur auf mich und das, was in mir vor sich geht. Ich verspüre den Stolz, mit dem ich mein bordeauxrotes Barett trage, die Freude heimzukehren, die gleichzeitige Unsicherheit, was mich wohl erwarten mag. Auch eine Portion Wut und Trauer, die ich mir nicht erklären kann, mischt sich dazwischen
– ein wahres Gefühlschaos, das sich in mir austobt. Alle Eindrücke wirken intensiv und zugleich, als seien sie sehr fern. Ich stelle fest, dass mir meine Kameraden fehlen. Mit meinem Einsatz geht etwas unwiederbringlich zu Ende. Die KFOR-Einsatzkompanie war ein wild zusammengewürfelter Haufen. Auf engstem Raum zusammengepfercht haben wir mehr übereinander erfahren als in all den Monaten zuvor, die wir bereits miteinander in der Kaserne gelebt haben. Für viele Soldaten ist dieser Einsatz der krönende Abschluss ihrer Dienstzeit. Sie werden nur noch einmal zur Kaserne zurückkehren, um ihre Ausrüstung abzugeben. Meine Restdienstzeit beträgt sechs Monate, doch mein Wunsch, Soldat zu bleiben, ist mir durch den Einsatz noch deutlicher bewusst geworden.
Ich biege um eine letzte Ecke und stehe vor dem Haus meiner Eltern. Über der Eingangstür prangt ein Banner mit der bunten Aufschrift: »Willkommen zu Hause«. Meine Großmutter, Eltern und meine beiden Schwestern erwarten mich freudestrahlend. Ich werde umarmt, geherzt und geküsst. Meine Mutter bemerkt, dass ich abgenommen habe, und meine Oma sagt: »Genau wie Opa, als er heimkam.« Mein Großvater hat nie über seinen Kriegseinsatz gesprochen. Über den Zweiten Weltkrieg zu reden war in meiner Familie immer tabu. Gerade bei einem hochrangigen Kommandeur der Kampftruppen wollte man in der DDR von einer Verbindung zum Nationalsozialismus nichts verlauten lassen. Beim Essen erfahre ich nun zum ersten Mal etwas über die Zeit, in der mein Opa bei der Wehrmacht diente.
Trotz des herzlichen Empfangs habe ich bald das Bedürfnis, allein zu sein. Ich will das meiner Familie aber nicht sagen, sie würde es vermutlich nicht verstehen. Daher entschuldige ich mich damit, dass ich gern ein frisch gezapftes Bier trinken gehen möchte.
EIN MULTINATIONALER WETTKAMPF
Nach dem Urlaub melde ich mich beim Spieß der 1. Kompanie zum Dienst zurück. Der hat meinen Posten inzwischen mit einem anderen Soldaten nachbesetzt, daher soll ich in die 2. versetzt werden. Dort bin ich für den Zug von Hauptfeldwebel Schleifer vorgesehen. Der
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